Jahresringe

Mein Vater malte seit sein Enkel geboren war und er halbwegs stehen konnte in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen eine “Wachstumslinie” an die Kellerwand. Aufgeschrieben wurden Größe, zum Teil das Gewicht und das jeweilige Datum.

Bei meinem letzten Besuch stellte ich erstens fest, wie klein mein Sohn mal war, aber zweitens das er mich jetzt um gut 15 cm überholt hat und drittens, wie lange es her ist, seit er eben so klein war.

Gefreut habe ich mich darüber, dass mein Vater diese Erinnerungsleiste bzw. Zeitstrahl belassen hat, obwohl der Keller mehrfach saniert wurde. Wir blieben zu dritt (mein Vater, mein Sohn und ich) einige Zeit etwas versonnen davor stehen und betrachteten die Striche an der Wand. Ich glaube, uns gingen ähnliche Gedanken durch den Kopf. Mich erinnerten die Striche an der Wand an die Jahresringe eines Baumes. Es sind “nur” Linien, aber dazwischen gab es jede Menge Ereignisse, die zu einem Leben eben dazu gehören. Bei meinem Sohn waren es natürlich Dinge wie Einschulung, Konfirmation, Abi und Studienbeginn.

Wie wäre es, wenn ich auch so einen Zeitstrahl für mein Leben hätte? Was würden die Striche für Lebensabschnitte markieren? Die Ereignisse, die eben normalerweise stattfinden oder Ereignisse und Begegnungen, die aus anderen Gründen eine besondere Bedeutung haben? Das scheint mir eine interessante Frage zu sein: Was oder wer markiert in unserem Leben “Kerben” (bzw. Jahresringe oder Striche), die unser Leben beeinflussen und sogar verändern? Bei mir kann ich sagen, dass es sehr häufig Menschen waren, die einen oder mehrere Jahresringe hinterließen. Aber natürlich auch Ereignisse, die in unserer westlichen Zivilisation  fast zur Normalität gehören (Schulbildung, Beruf, Familiengründung,  Wohnortwechsel, Alter und Tod). Selbstverständlich ist das alles aber nicht.

Der Zeitstrahl meines Sohnes kann jetzt nur noch in der Horizontalen fortgesetzt werden, da die Kellerdecke erreicht ist. Naja, wachsen wird er wohl auch nicht mehr. Mal sehen, ob sein Opa weitere Markierungen bei einschneidenden Ereignissen anbringt. Ich finde das großartig und freue mich schon darauf, wenn mein Sohn mal seinen Kindern diese Erinnerungsleiste zeigt und vielleicht einige Geschichten dazu aus seinem Leben erzählt. Mögen es viele gute Jahresringe sein.

Strom des Lebens

“Xaver” ist gerade über uns hier im Norden hinweg getobt und nicht weit von hier steht Hamburg zum Teil unter Wasser. Die Flut wird durch den auflandigen Wind stark in die Elbemündung gedrückt.

Als ich heute morgen mit meinem Border Collie durch die Wiesen ging, war es immer noch sehr stürmisch und unser kleiner Fluss kräuselte sich stark unter den Böen, aber zum Glück ohne Überschwemmungen. Wolken rasten über den Himmel und es wirkte für mich einen Augenblick lang recht bedrohlich. Ich beschleunigte meine Schritte, was meiner Hündin gut gefiel und sie lief zügig vor mir her. Tief zog ich meinen Kopf in meine kuschelige Jacke ein.

Dabei wäre es mir fast entgangen, dass plötzlich für einen kurzen Moment die fahle Sonne durch die Wolken brach und der Wind einen Moment lang inne hielt – so als würde er seinen Atem anhalten um mir Gelegenheit zu geben, den stillen Moment zu genießen. Das Licht wirkte milchig, die Sonne verbreitete dennoch ein kleines bisschen Wärme auf meinem Gesicht und der kleine Fluss, der sich durch die Wiesen schlängelt, war spiegelglatt, so dass sich die Sonne darin spiegelte.

Ein surrealer Moment nach dem stürmischen Getöse. Es dauerte auch nur einen Herzschlag lang, dann war der Fluss wieder “kabbelig” und unruhig, da der Wind wieder Anlauf nahm. Wolken schoben sich zurück vor die Sonne und der stille Moment war vorbei.

Ich assoziierte diese Begebenheit sofort mit meinem Leben in den letzten Monaten. Es ist oft unruhig auf meinem Strom des Lebens gewesen…. Viele “up’s and down’s”, unruhige  Wellenbewegungen, die mich schwanken ließen, aber auch immer wieder kurze Moment zum Innehalten und ruhig werden, an dem ein kurzer Lichtblick Hoffnung machte auf bessere Zeiten. Und das Gefühl, die Sonne ist da. Hinter den Wolken – auch wenn ich sie gerade nicht sehen kann…..

… Vielleicht war es aber auch “nur” ein ganz normales Naturphänomen, das ich beobachtet habe…. Glaube ich aber nicht, denn solche Momente sind geschenkte Momente, um uns daran zu erinnern, dass wir niemals alleine sind.

Bad hair day

Seit Wochen habe ich das Gefühl, dass ich jeden Tag einen “Bad hair day” habe! Ich werkele mit Fön, Rundbürste und Glätteisen herum. Ja, das ist meine neuste Errungensschaft! Ich hatte bisher kein Glätteisen! Warum nicht? Weil ich über 40 Jahre lang glatte Haare hatte! In unterschiedlicher Länge. Bis zur Konfirmation fast hüftlang, dann durfte ich sie abschneiden und hatte dann einen furchtbaren Pilz- bzw. Topfschnitt! Grauenhaft, aber so war das Ende der 70ziger.  Ich trug meine Haare dann wieder überwiegend lang bis sehr lang, aber auch mal einen Pagenschnitt. Sah gut aus bei meinen glatten Haaren!

Seit einigen Wochen gibt es eine erhebliche Veränderung (außer das graue Haare dazukommen, was aber bei meinen rotblonden Haaren nicht so massiv auffällt). Nach der Therapie sind mir die Haare zum Glück nicht ausgefallen. Sie sind allenfalls etwas dünner geworden, aber das lies sich gut kaschieren.

Seit einiger Zeit wellen sich meine Haare, sind “krusselig” und fühlen sich auch ganz anders an. Erst dachte ich, ich würde mir das einbilden oder ich hätte eben eine “Bad hair week”. Deshalb besorgte  ich mir ja auch ein Glätteisen, was ich gut fand und das gewünschtes Ergebnis lieferte.

Vor ein paar Tagen war ein “hairstayling” bei der Friseurin meines Vertrauens fällig. Ich habe den allergrößten Respekt vor dieser Berufsgruppe. Nicht nur das sie eine fundierte Ausbildung haben, den ganzen Tag stehen müssen, mit giftigen Chemikalien arbeiten – nein, sie sind auch noch Seelsorger und Therapeuten! Unfassbar, was für Gespräche stattfinden, wie meine Friseurin ( und Freundin)  erzählt. Lebensberatung, Beziehungsprobleme, Familientragödien und Kinderblabla. Und das alles so nebenbei! Unentgeltlich! Endlich jemand, dem man sein Herz ausschütten kann und der nicht wegläuft, bis die Frisur fertig ist.

Zurück zu meinem Problem ( wenigstens ist es ein Fachproblem): Ich weinte meiner Friseurin meine Beobachtung  von meinen zunehmend veränderten Haaren vor, und bat sie um eine Analyse und ihre Hilfe. Sie runzelte die Stirn, fuhr prüfend mit der Hand durch meine Haare, betrachtete einzelne Strähnen genauer und sagte zu meinem Entsetzen: “Die Haare kenne ich nicht an Dir.” Wie bitte?  Sie bestätigte, dass sich die Struktur der “neuen” Haare verändert hat. Also, die Haare, die nachgewachsen sind, die Haare von jemand Anderem?

Sie würde das öfter nach medikamentöser Therapie beobachten, dass sich Struktur oder sogar die Haarfarbe ändert. Ach du Schreck, da kann ich ja noch froh sein, dass ich nicht plötzlich pechschwarze Haare habe! Ich müsste meine gesamte Gardrobe umstellen! Außerdem sähe das zu meinem eher blassen Hautton wahrscheinlich ziemlich dämlich aus….

Also, ich leide offensichtlich nicht unter fortgeschrittenen Wahrnehmungstörungen, sondern hatte mit meiner Vermutung recht - ich werde demnächst ein Lockenkopf sein! Wie gut das ich ein Glätteisen habe! Und wie wundervoll, dass ich die Zeit und die Muße habe, mich mit solchen profanen Nebensächlichkeiten zu beschäftigen. Vor ein paar Monaten habe ich keinen Gedanken an solche Äußerlichkeiten verschwendet, und jetzt kann ich diese kleinen “Problemchen” richtig genießen! Ich liebe “Bad hair days”! Denn sie sind Tage an denen ich lebe!