Biografie 2.0

Wenn das Wetter nass und kalt ist und es draußen schnell dunkel wird, so wie im Moment, sitze ich gerne mit einem Tee in “meiner” Sofaecke und lese. Wer viel schreibt, muss auch viel lesen. Und ich falle gerade wieder in ein Buch hinein… Ich kann es kaum weglegen, so fasziniert mich die Geschichte, die noch dazu eine Biografie ist – also wahr.

“Die Manns”  eine ebenso kreativ-geniale wie “schräge” Familie – die 6 Kinder im Schatten des “Übervaters” Thomas Mann, immer auf der Suche nach Anerkennung und sich selbst. Sehr spannend, lebten sie doch alle in einer schwierigen Zeit.

Ein weiterer sehr kuger Mann, Albert Einstein, begegnete Thomas Mann in Amerika. Das wird die nächste Biografie sein, die ich lese und dann die Staufenberg Biografie. Sicher ebenso spannend.

Wieso schreibe ich erneut über Biografien? Ersten lese ich sie gern. Zweitens, das letzte Mal schrieb ich über Frauen-Biografien und drittens … habe ich gerade selber eine geschrieben  (sie wird im Januar erscheinen). Näheres in Kürze….

Das ist aber alles nicht der Grund, sondern die nicht gelebte Biografie eines Babys (ich weiß nicht ob es ein Mädchen oder ein Junge war), das in den Armen seiner Mutter in Afghanistan von den Taliban erschossen wurde.

Das erzählte mir die weinende, bildschöne Frau in der Sanitätssprechstunde einer Erstaufnahme, wo ich als ehrenamtliche Krankenschwester arbeite. Sie könne nicht schlafen und nicht essen. Sie sei mit ihrem Mann und ihren drei überlebenden, von der Flucht ebenfalls schwer gezeichneten, Kindern vorgestern über die deutsch-österreichischen Grenze hier angekommen.

Diese nicht gelebte Biografie des erschossenen Babys, das nicht laufen, lachen, sprechen, lernen und leben durfte – weil der Hass, der Terror und die Verwirrtheit von Menschen ihm das Leben nahmen, bevor es richtig begann – diese Biografie treibt mich um.

Was macht diese nicht gelebte Biografie mit den Eltern, die ihr Baby verloren haben, was mit den Geschwisterkindern? Was macht es mit mir und meiner Biografie? Hinterläßt dieses grausame Schicksal des unbekannten Babys Spuren? Ja, haben doch jetzt die ganzen furchtbaren, aber doch fernen Nachrichten für mich ein Gesicht bekommen – das der trauernden Mutter.

Ich konnte nichts für die Familie tun, außer der Mutter zu sagen: ” I’m very sad with you.” Das ist alles.Und es wird in meiner Biografie weiter so sein… Ich bin mit ihr traurig.

Salzburg (Österreich)

Der letzte Urlaub war Anfang Oktober und ist somit gefühlt schon ewig her. Dennoch sind mir einige Bilder sehr präsent! Wir waren (mal wieder) am Chiemsee. Von dort ist es nicht weit zur österreichischen Grenze und nach Salzburg. Wir waren schon einige Male dort, befanden aber, dass es allemal einen erneuten Besuch wert wäre.

Die aktuelle Situation an der deutsch-österreichischen Grenze war uns aus den Nachrichten natürlich bekannt, aber erst als wir auf der Autobahn unmittelbar vor dem EU-Schild waren, realisierten wir die dramatische Situation. Auf der Gegenseite war die Fahrbahn nur einspurig befahrbar und ein riesiges Polizeiaufgebot befand sich an den Seitenstreifen. Der Verkehr ging nur schleppend voran, und es bildete sich ein fast 5 km langer Stau. Transporter und LKW’s wurden “bevorzugt” kontrolliert. Staunend sahen wir auf die Autoschlange und kamen auf unserer Seite aber zügig an den Stadtrand von Salzburg. Nun sind die meisten Vorstädte ja nicht sonderlich hübsch, aber hier hatte ich den Eindruck, dass es besonders trist war. An einer roten Ampel konnten wir in einen Hinterhof sehen, in dem sich hunderte von Menschen aufhielten und entweder auf die Ausgabe von Kleidung, Sachmitteln oder Nahrung oder vielleicht auch auf eine Registrierung warteten. Männer, Frauen, Kinder, Junge, Alte – eine bunte Mischung, aber alle frierend und dicht beieinander stehend. Grün. Die Ampel sprang um und wir ließen dieses Bild zurück. Vorläufig.

Gute 20 Minuten später suchten wir einen halbwegs günstigen Parkplatz. Natürlich war keiner zu finden und wir mussten wohl oder übel in eine Tiefgarage direkt an der Salzach, die uns am frühen Abend fast 20€ kosten sollte.

Ich hatte mich auf Salzburg gefreut, aber irgendwie war meine Laune nicht die Allerbeste. Auf dem Weg Richtung Altstadt sah ich den, auf dem obigen Foto abgebildeten BMW mit “Sacher”-Werbung und einen dazugehörigen Transporter, der Stehtische und Unmengen von Platten mit Leckereien in ein ” Schicki-Restaurat” trug. Das schloss ich zumindestens aus dem Ambiente und den edel gekleideten Menschen, die hineinströmten. Ich hatte sofort das Bild der vielen frierenden Menschen in dem Hinterhof vor Augen, und meine Laune wurde nicht besser. Im Gegenteil, ich wurde immer ärgerlicher. In erster Linie auf mich selber.

Was hatte ich hier verloren? Ein entspannter Bummel durch eine überteuerte, zugegebener Maßen sehr schöne Stadt? Daran war eigentlich nicht zu denken. Wir drückten uns dennoch einige Stunden in Salzburg herum, und aßen unsere mitgebrachte sehr leckere Brotzeit auf einer Bank und beobachteten teuer gekleidete Touristen, zu denen wir ja ohne Frage selber dazugehörten.

Auf dem Rückweg fuhren wir einen anderen Weg und kamen natürlich in einen anderen Stau. Zeit, darüber nach zu denken, dass das, was für mich Erholung und Abwechslung ist, für viele andere Menschen gerade der Kampf um eine neue Existenz darstellt.

Zuhause meldete ich mich umgehend als ehrenamtliche Krankenschwester in einer Erstaufnahme-Einrichtung in einem Nachbarort an. Das Bild von den frierenden, wartenden Menschen, an denen eine überdimensionale Sachertorte vorbei getragen wird, verfolgt mich bis in meine Träume.

 

„#aufschrei“: Netzaktivistin Anne Wizorek liest aus ihrem Buch

Aufgeben ist keine Option

Anne Wizorek kam auf Einladung der Gleichstellungsbeauftragten nach Rotenburg.

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© ckw
Anne Wizorek kam auf Einladung der Gleichstellungsbeauftragten nach Rotenburg.
© ckw

Rotenburg – „Alter und neuer Feminismus“, „Diskurs und Harmonie“, „Hashtag und Shitstorm“. Mit diesem Vokabular kam derjenige in Berührung, der Netzaktivistin und Feministin Anne Wizorek während der Lesung aus ihrem Buch „Weil ein Aufschrei nicht reicht“ zugehört hat. „Wir sind doch schon am Ziel, nur ist das eben noch nicht in der Realität angekommen“, überraschte sie die etwa 20 Zuhörerinnen – ein Mann war auch dabei – am Donnerstagabend in der Stadtbibliothek. Sexualisierte Gewalt, Diskriminierung, frauenfeindliches Auftreten und eine nicht gendergerechte Sprache: All das sind Themen in ihrem Buch, das aufgrund ihres Tweets „#aufschrei“ entstand.

Die Grimme-Online-Award-Gewinnerin musste sich auch bei ihrer Lesung in Rotenburg schon im Vorfeld einem unsachlichen und beleidigenden Shitstorm auf der Facebook-Seite der Rotenburger Stadtbibliothek stellen, als sie der Einladung der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt, Brigitte Borchers, folgte. Sie sei das gewohnt, versuchte sie diese Unverschämtheiten weg zu lächeln. Auf die Frage, wie sie sich davor schütze, verriet sie, dass ihr bester Freund für sie im Vorfeld die schlimmsten Anfeindungen herausfiltert und sie sich dem erst dann stellt, wenn sie bereit dafür ist. Damit behalte sie die Kontrolle über die Unverschämtheiten, die nichts mit Meinungsfreiheit, sondern mit oft juristisch relevanten Verunglimpfungen und Beleidigungen zu tun hätten.

Die junge Frau aus Berlin, die mehrfach zu Gast bei Frank Plasberg, Günther Jauch und Co. war, will aber weiter gegen Geschlechterstereotypen in den sozialen Netzwerken kämpfen, denn aufgeben sei keine Option für sie.

ckw