Alpen

Wer wie ich oft in den Bergen ist, insbesondere in den Alpen, wird verstehen, was ich mit “Erhabenheit” meine…

Da ich glücklicherweise überwiegend wieder so fit bin, dass ich auch etwas längere und größere Bergtouren machen kann, packten wir die Gelegenheit einer “Trockenperiode” während des Dauer-Pfingstregens beim Schopf und machten uns mit Freunden auf, zu einer Tour. Die beiden sind erfahrenen Bergwanderer, so dass wir sicher waren, einen guten Aufstieg zu finden.

Da es die Tage vorher ausgiebig geregnet hatte, war der Aufstieg nicht ganz einfach, denn der Weg war matschig und die Steine glitschig. Dennoch wurde der Blick, als wir durch die Baumgrenze waren, prächtig. Der Himmel war grau und Wolkenfahnen hingen an den Bergspitzen fest und tauchten die Kulisse in eine mystische, aber dennoch Geborgenheit vermittelnde Atmosphäre. Einige andere Wanderer, ein Läufer (ja, es gibt auch Menschen, die Berge nicht erwandern, sondern hinauf und hinunter joggen!) und einige “Down-Hill” Raser, die in halsbrecherischem Tempo an uns vorbei sausten, begegneten uns. Ansonsten war es still.

Damit meine ich nicht leise oder ruhig, sondern eine Stille umgab uns, die ebenfalls etwas Mystisches hatte. Ich habe ja schon mehrfach behauptet, dass man in den Bergen dem Himmel ein bischen näher ist. Und dieses Gefühl stellte sich bei mir wieder sehr deutlich ein – zumal ja auch noch Pfingstsonntag war.

Nach gut eineinhalb Stunden erreichten wir kurz hinter einem österreichischen Grenzstein eine Berghütte, wo wir uns mit Kakao und Topfenstrudel für den Rückweg stärkten. In der Hütte herrschte fröhliches Treiben und wir wurden in verschiedene kurze Plaudereien mit anderen Gästen verwickelt. Die Gespräche waren kurz und unverbindlich, dennoch hatten sie alle etwas gemein… Die Erhabenheit der Berge wirkte hindurch. So empfand ich es zumindest.

Der Rückweg war gefühlt kürzer, dafür aber ungleich schwieriger, da es bergab noch rutschiger war, aber alle meisterten den Weg ohne größere Blessuren, dafür aber mit verdreckten Hosen und Stiefeln.

Am Parkplatz angekommen war ich ein bisschen stolz den Auf- und Abstieg so gut gemeistert zu haben und versuchte das “erhabene” Gefühl in meiner Gedankenwelt abzuspeichern. Klar ist mir geworden: Ich gehe wieder auf den Berg, um dem Himmel etwas näher zu sein!

Himmelsgarten (Bamberg)

Wenn man durch den Torbogen auf das Gelände des ehemaligen Benediktiner Klosters geht (heute ist dort ein Seniorenheim), ist man außer Atem, denn der Weg ist relativ steil. Sankt Michael oder der Michelsberg, wie er liebevoll genannt wird, liegt auf dem höchsten Hügel von Bamberg und wird deshalb oft fälschlicherweise mit dem Dom verwechselt, der tatsächlich nur wenige hundert Meter entfernt, aber etwas niedriger, auf einem anderen Hügel liegt.

Die im Kern romanische Kirche, die um 1015 gegründet, aber mehrfach zerstört wurde, hat heute eine barocke Außenfassade und eine gewaltige Treppe mit vorgelagerter Terrasse. Das lässt St. Michael ein bisschen wie ein Schloss aussehen. Verstärkt wird dieser Eindruck von dem breiten Weg der direkt auf die Treppe und das Portal zustrebt. Die Seiten sind gesäumt von einem Bibelgarten, mit Sträuchern, Kräutern und Blumen, die schon in der Bibel erwähnt werden. Ich finde es schön, dass manche Dinge die Zeit (2000 Jahre!) überdauern.

Wenn man aus dem Sonnenlicht in die Kühle des Kircheninneren kommt, richtet sich der Blick ja eigentlich durch den Mittelgang auf die gewaltige Kanzel und prächtigen Altäre. Aber unweigerlich wird der Blick nach oben gezogen und man sieht über sich (im Gesamten Mittelschiff und in beiden Seitenschiffen) eine wunderbare Fortsetzung des eben erst gesehenen Bibelgartens: Das Herbarium – den Himmelsgarten. Man fühlt sich wie in einer Laube und die Vielfalt und Farbenpracht ist überwältigend. Kräuter, Blumen, Obst (Ananas, Granatäpfel) und sogar Vögel sind in einer verblüffenden Vielfalt zu sehen. Insgesamt sind es fast 600! Fast alle Pflanzen sind in blühendem oder Frucht tragendem Zustand abgebildet und sie sind naturgetreu in Form und Farbe wiedergegeben. Die Gemälde wurden 1617 fertig gestellt und beinhalten sogar schon Pflanzen, die erst im 16. Jahrhundert in Deutschland bekannt wurden (Flieder, Jasmin und Goldregen.) Die Detailtreue und die Farbenpracht ist überwältigend und ich kann mich schier nicht satt sehen, und weiß, dass ich wie jedes Mal eine Genickstarre haben werde, wenn ich den Michelsberg verlasse. Trotzdem ich liebe diesen Himmelsgarten sehr.

Das ist aber nicht das einzig Bemerkenswerte an St Michael. In der Krypta befindet sich das Grab des Bischofs Otto, der 1189 heilig gesprochen wurde. Es ist ein Hochgrab, das über einen Durchschlupf verfügt. Gläubige wollten der Reliquie ganz nahe sein und durch ihre gebückte Haltung ihre Verehrung zeigen. Noch heute gehen viele Pilger in gebückter Haltung unter dem Grab hindurch. Es soll von Rückenleiden befreien. Der Durchlass ist allerdings nur etwa hüfthoch und man muss sich tief beugen, um hindurch zu kommen. Ich habe es selber versucht, in der Hoffnung, dass auch andere Krankheiten geheilt werden. Wer dort durchkrabbeln kann, hat sicher kein Rückenleiden!

Durch die hellen Farben und die bunten Deckengemälde wirkt die Kirche sehr licht, was durch die üppigen Goldaltäre, die allesamt ein Kunstwerk für sich sind, noch unterstützt wird. Die Kirche mit dem Himmelsgarten ist für mich eine der schönsten Kirchen, die ich gesehne habe. Und ich war schon in einigen großen und berühmten europäischen Kirchen (Florenz, Rom, Paris, Madrid, London, Edinburgh usw.). Dieser durchbetete Kirchenraum taucht oft in meinen Träumen auf und lässt mich dann voller Sehnsucht nach meinem Bamberg wach werden.

Blaue Stunde

…ist ein feststehender Begriff, der in der Poesie und in der Fotografie verwendet wird. Es ist die Zeit der Dämmerung zwischen Sonnenuntergang und nächtlicher Dunkelheit gemeint. Kontraste sind abgemildert, es erscheint alles weicher und stimmungsvolle Bilder können entstehen. Es ist eine Zeit des Übergangs – nicht mehr richtig hell und noch nicht ganz dunkel.

Ich persönlich mag solche “Halbheiten” eher nicht. Ganz oder gar nicht, schwarz oder weiß, hell oder dunkel. Herbst und Frühling sind ja ebenfalls Übergangszeiten zwischen den Jahreszeiten. Man sagt, in den Dämmerungsstunden sterben mehr Menschen. Meine Erfahrung aus dem Krankenhaus und aus der Altenpflege bestätigen das. Aber warum wohl? Fällt der Abschied in dieser Zeit leichter?

Aber zurück zur Fotografie: Ich habe ein bisschen recherchiert – es gibt einen “Dämmerungsrechner”, in dem man Standort bzw. Längen- und Breitengrad eingibt und dann die genaue “blaue Stunde” errechnet bekommt. Sie dauert aktuell genau 38 Minuten. Ende Dezember ist sie 42 Minuten lang. Eine begrenzte Zeit. Und der geneigte Fotograph muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein bei der Jagd auf das perfekte Bild.

Ich fotografiere nicht viel (außer ein paar “shots” für diesen Blog), weil ich den Moment lieber auf meiner persönlichen Festpatte speichere, als auf einem Datenträger. Trotzdem ist mir diese “Jagd” nicht ganz unbekannt. Ich habe auch nur eine begrenzte Zeit, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Nämlich genau dort, wo das Leben mich hinstellt. Manchmal gefällt mir die Perspektive nicht, oder der Standort ist zu wackelig, das Motiv einfach nicht gut und der Himmel “ungnädig”, weil es regnet.

Ich kann gehen, ein besseres Motiv suchen und den Standort wechseln. Aber es kostet mich Kraft und Zeit, die ich möglicherweise nicht habe. Also verwende ich die Energie doch lieber auf genau diesen Ort und dieses Motiv meines Lebens. Ein Motiv kann ein Gegenstand einer künstlerischen Darstellung sein, oder eben ein Beweggrund oder Antrieb. Wie passend! Ein Antrieb, auch mit Situationen, Zeiten und Gegebenheiten zurecht zu kommen, auch wenn die Zeit nur kurz und die äußeren Umstände nicht perfekt sind. Genau das machen wir Menschen doch jeden Tag. Bestenfalls haben wir Menschen an unserer Seite, die uns unterstützen. Manchmal nicht – aber dennoch sind wir nicht alleine!

Vielleicht ist die “blaue Stunde” doch nicht so schlecht, auch wenn es aus meiner Sicht eher eine Halbheit ist. Immerhin bietet sie uns die Möglichkeit die scharfen Kontraste (des Lebens) in einem milden, wohlwollenden und verzeihlichem Licht zu sehen, so wie Ingeborg Bachmann es in ihrem Gedicht beschreibt:

“Gesellig die Lampen im blauen Licht, bis der Raum mit der vagen Stunde bricht…”

Und weiter:

Vom hohen Trapez im Zirkuszelt spring ich durch den Feuerreifen der Welt, ich gebe mich in die Hand meines Herrn, und er schickt mir gnädig den Abendstern.” (Die blaue Stunde,  1957,von Ingeborg Bachmann)

Foto: Abbenfleeth, Ralf Kohröde