Schweden – Abba schön

The winner takes it all, Dancing Queen, Honey Honey, SOS, Super Trouper. Wer wie ich seine Teenie – und Partyzeit in den 80zigern hatte, kann diese Lieder noch immer auswendig. tatsächlich komme ich nicht umhin, diese Lieder zu summen, als ich an der Küste oberhalb von Göteborg entlang fahre um die Schären zu erreichen. Orust und Tjörn sind die Ziele. Schären sind kleine Inseln, die in der Eiszeit entstanden sind und vom Eis abgeschliffen wurden. Sie können wenige Quadratmeter bis zu einigen Quadratkilometern groß sein. Orust ist z.B. die drittgrößte Insel von Schweden und 345 km² gross.

Der Himmel ist bedeckt als ich mit dem Auto über die Brücke nach Tjörn fahre. Die Insel erst einmal liegenlassen, so lautetet eine Empfehlung von Freunden, die schon mehrfach da waren. Allein die Fahrt durch das Inselinnere ist spektakulär. Gefühlt ist es sehr gebirgig, aber das Navi zeigt nur Höhen bis 150 m über NN an. Die Felsen sind alle sehr glatt und es ist karg. Keine Bäume oder Sträucher nur gelbe Flechten klammern sich an die grauen, leicht marmorierten Steine. Überhaupt wirkt alles sehr farblos und etwas schummerig, was aber an dem fahlen Licht liegt. Als die Sonne etwas später durch die Wolken bricht explodieren die Farben. Der kleine Ort an der Küstenseite hat viele entzückende weiße, rote und blaue Holzhäuser. In der “Oberstadt” stehen überwiegend weiße, moderne Häuser, die mit schwerem Gerät in die Felsen gebaut wurden. Scheint eine Preisfrage zu sein, wo man hier wohnt.

Ich gehe Richtung Hafen und sehe einen Leuchtturm, zu dem man über die Felsen laufen kann. Ich bleibe auf der Hälfte des Weges stehen, finde einen “bequemen” Felsen und lasse die Kulisse auf mich wirken. Immer wieder fahren kleine Fischerboote raus, Möwen kreischen und es ist keine Menschenseele zu sehen. Der Himmel reißt immer weiter auf und es ist angenehm warm, da auch kaum Wind weht. Ich merke, dass mein Herzschlag langsamer wird. In mir kehrt Ruhe ein. Selbst die Abba Melodien verstummen. Ich spreche ein Gebet und bleibe eine ganze Weile an diesem Ort sitzen.

Irgendwann bekomme ich Hunger und mache mich auf die Suche nach einem Kiosk oder Café. Es gibt einige am Hafenbecken, aber die haben alle zu. Es ist Wintersaison. Ein älterer Mann mit blonden Locken, die unter einer blauen Strickmütze hervor schauen, spricht mich auf Schwedisch an, als er von einem Segelboot herauf klettert. Er hält mich offensichtlich für eine Schwedin. Auf Englisch erzählt er, das nur 150 Menschen im Winter hier sind. In den Sommermonaten kommen die Stockholmer und Göteborger Besitzer der schicken Häuser, die so ab 500000€ kosten. Mein Traum von einer kleinen Hütte auf Orust zerplatzt. Ich beneide ihn um sein Segelboot, aber er winkt ab und sagt, dass er eigentlich viel lieber mit seiner Harley auf Orust unterwegs ist. Ich muss schmunzeln – habe ich es doch gewusst! Er gibt mir noch einen Tipp wo evtl. ein ICA (schwedischer Lebensmittelladen) offen ist und wünscht mir einen schönen Aufenthalt. Mir kommen die Menschen hier irgendwie freundlicher vor, aber das mag auch an meiner positiveren Grundstimmung liegen.

Ich finde den offenen Laden. Dort gibt es alles, was man zum Überleben braucht. Zeitgleich höre ich Kirchenglocken und erinnere mich, dass ich einen Kirchturm gesehen habe. Schnell treffe ich auf eine relativ große, aus hellen Steinen gemauerte Kirche. Unterhalb der etwa 20 Stufen stehen 2 rote Rollatoren und ich frage mich, wie deren Besitzer in die Kirche gekommen sind, da es weder Rampe noch einen anderen Eingang gibt. Ich werde dieses Rätsel nicht lösen und trete in die helle freundliche und lichtdurchflutete Kirche ein. Eine Frau mit einer Kaffeekanne spricht mich wieder auf Schwedisch an und ich frage auf Englisch, ob ich für einen kleinen Moment in die Kirche schauen darf. Sie lacht und nickt. Es riecht verführerisch nach Kaffee und Kuchen und in einem durch Glas abgetrennten Raum sehe ich eine gedeckte Kaffeetafel, mit lachenden, blonden Menschen aller Generationen.

Ich bin überrascht, dass hier im Vorraum der Kirche offensichtlich ein Familiengeburtstag stattfindet und habe nur einen kurzen Blick für das Innere der Kirche. Eigentlich interessiert mich sonst immer die Kirchenkunst, aber irgendwie zieht es mich wieder an den Eingang, bzw. in den Vorraum, der mit einer hellen Küchenzeile ausgestattet ist, zurück. Ich muss an das Abendmahl Bild von Leonardo da Vinci denken, an die vertrauensvolle Gemeinschaft und die Verbundenheit. Das erkenne ich in der Szenerie hier im Vorraum der Kirche auch und freue mich einen Herzschlag lang mit einbezogen zu sein, denn Einige nicken mir freundlich zu. Dann fühle ich mich wie ein Eindringling und gehe schnell hinnaus. Ich will nicht stören.  Eine Familie zu haben ist toll. Ich denke an meine und habe wieder Abba im Ohr:…the winner takes it all…

Leben in pinkfarbenen Schuhen

Dieser Beitrag kann als “Einleitung” zu dem Blog verstanden werden. Er ist bereits in der Juniausgabe 2013 von “Die Schwester Der Pfleger” (bibliomed Verlag Melungen) erschienen. Falls ihr den Artikel schon kennt… der nächste Eintrag ist die “Fortsetzung”.

Lange Zeit hatte ich keine Lust, Schuhe zu kaufen – das ist bei mir ein wirklich schlechtes Zeichen. Vor ein paar Wochen, als der Frühling zu ahnen war, war es aber wieder soweit. Ich verliebte mich in neon-pinkfarbene Schuhe. Von einer Freundin erntete ich ein fassungsloses Kopfschütteln und eine hochgezogene Augenbraue. Na und? Früher hätte ich mich vielleicht geärgert -  jetzt zählt nur, dass ich mich darüber freue. Was interessiert mich noch, was andere über mein Outfit denken? Wenn ich Lust darauf habe, laufe ich im Ballkleid durch die Fußgängerzone. Alle sehen doch, dass ich 10 Kilo weniger wiege, dunkle Ringe unter den Augen habe und meine Haut durchscheinend ist von den starken Medikamenten. Ich bin mit einem Hb von 10,4 entsprechend blass. Da braucht man doch erst recht ein bisschen Farbe. Mein krankes Aussehen wird allerdings nicht kommentiert. Ist das Höflichkeit, Angst etwas falsches zu sagen oder Empathie? Ich weiß ja, dass ich aussehe wie eine Krebskranke – aber dann wenigstens mit Schuhen, die pink sind!

im Juli vergangenen Jahres hatte ich nach Erstdiagnose 2007 die “Fünf-Jahres-Schallmauer” fast durchbrochen. Dann die erneute Diagnose: Rezidiv! Das PET-CT sprach Bände, so wie das Gesicht des Radiologen, als er sagte: “Ich habe leider nicht so gute Nachrichten für Sie.” Fast hätte ich gelacht, wäre da nicht dieses Gefühl gewesen, ich hätte ein Glas Eiswasser auf ex getrunken. Mein Kopf sagte mir, dass ich jetzt Fragen stellen muss -  wie es weiter geht, ob es noch eine Therapie für mich gibt und ob überhaupt noch eine OP sinnvoll ist. Aber eigentlich wollte ich nur weg. Nach hause, in meine Höhle, um mich wie ein weidwundes Tier zu verkriechen, um zu sterben. Aber nein, ich will noch nicht sterben, ich bin eine Kämpferin und habe noch so viel vor! Aber was würde alles vor mir liegen? “Lohnt” es sich, durch die ganze “Therapiemühle” zu gehen?

Ich war schon immer ein gläubiger Mensch. In Zeiten wie diesen habe ich erst Recht Trost und Hilfe im christlichen Glauben gefunden. “Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.” -  Diese Zeilen schrieb Dietrich Bonhoeffer aus seiner Gefängniszelle, als er von seinen NS-Verfolgern ebenfalls vom Tode bedroht war. Wunder, Spontanheilung, Remission – darum haben meine Familie, Freunde und ich gebetet. Es war natürlich trotzdem nicht immer leicht – aber, wie der ehemalige tschechische Staatspräsident Vaclav Havel einmal sagte: “Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas einen Sinn hat, egal, wie es ausgeht.”

Die schwierigsten Gespräche sind die, wo man in die hilf- und fassungslosen Gesichter der engsten Angehörigen blickt. Es schmerzt unendlich, wenn man ins Bodenlose fällt und auch dabei auch noch seine Familie mitreißt. Für mich war es gut, profane Dinge vor der OP regeln zu können. Ein wirkliches Krankheitsgefühl hatte ich nicht, aber es lässt einen atemlos werden, zu wissen, das “Etwas”  in einem wächst, was da nicht hingehört und das Leben bedroht – noch dazu rasend schnell. Wie gut tut es da, sich ans Telefon zu hängen und mit der Krankenkasse über die Kostenübernahme des zweiten PET-CT’s zu verhandeln. Was aber tun die Menschen, die das selber nicht (mehr) können? Wenn man sich in so eine Situation auch noch über Kosten von etwa 1800 € für ein Bild, das man eigentlich gar nicht haben will, auseinandersetzen muss, ist das für den einen Fluch, für den anderen Segen. ich jedenfalls wurde dadurch abgelenkt und konnte aktiv an meinem Weg mitgestalten.

Patientin, nicht Kollegin. Krankenhausaufnahme -vertraut und doch fremd. Patientin nicht Kollegin. Natürlich sehe ich sofort, was alles nicht klappt und bin entsprechend genervt. Ich habe aber  zu diesem Zeitpunkt keine Energie und Kraft, mich zu Wort zu melden. ich bekomme ein Zimmer, in dem  – gefühlt – 42 Angehörige über den auszufüllenden Speiseplan lamentieren. Tatsächlich waren es nur drei -zwei junge Frauen, deren Handys ständig klingelten und ein kleines Kind, das sich gerne mit mir über meine anstehende OP unterhalten wollte. Nach entnervenden zwei Stunden schleiche ich doch zu einer Schwester und versuche ihr schonend beizubringen, dass sie mich umschrieben muss oder ich andernfalls mein Bett selber auf den Flur schiebe. Natürlich weiß ich, das nachmittags noch mehr aufnahmen für den morgigen OP-Plan anstehen, die vorbereitet werden müssen. Mir ist das in diesem Moment völlig egal, denn ich bin zornig und verzweifelt, und ich will einfach nur meine Ruhe. Ich kassiere einen ebenfalls genervten Spruch, werde dann aber doch noch in ein anderes Zimmer verlegt, in dem eine ruhige, nette Frau liegt, die ihre Ruhe will und auch morgen operiert wird. Welch ein Geschenk! In diesen Momenten wir man demütig und für Kleinigkeiten dankbar.

Die Nacht vor der OP bin ich unruhig. Zwischendurch schlafe ich offensichtlich doch, den ich erschrecke, als ich um fünf Uhr von der Nachtschwester geweckt werde, um mich zu duschen und “anzuziehen”. Der Frühdienst kommt , um mir mein Dormicum zu bringen. Es wirkt schnell und ich werde ruhiger. trotzdem frage ich mich, ob ich wieder aufwache, der Operateur nicht zu viel Rotwein getrunken hat und die Anästhesieschwester keine Beziehungsprobleme hat und unkonzentriert ist. Alles ok -  ich habe einen Pfleger, der meine frage ob ich Propofol bekomme, mit “Ah, das kennen sie von Michael Jackson” beantwortet. dann weiß ich nichts mehr -  es war wie bei einem Radio, das man ausschaltet – Stille von einer Sekunde zur anderen. Beim Aufwachen genau anders herum – ich höre meinen Namen und bin glockenwach. Ordnungsgemäß beantworte ich die frage nach meinem Namen, der ja gerade gesagt wurde, und dem heutigen Datum richtig. Ich schaue auf die Uhr gegenüber und stelle fest, das die OP sechseinhalb Stunden gedauert hat. Ich will Details wissen, aber ich sehe den Redon und spüre den riesigen Verband. Mein Steiß und meine Fersen tun mir wahnsinnig weh, mehr als die Wunde. ich weiss nicht, wie ich liegen soll und eine sehr nette, hilfreiche Schwester lagert mich ständig um, wäscht mir das Gesicht und cremt meine aufgesprungenen Lippen ein. Zudem gibt sie mir einen Waschlapppen, damit ich mir die Hände abwischen kann, nachdem ich ein Becken brauchte – ohne dass ich extra darum bitten muss. Ich spreche ein Dankgebet und sehe sie nie wieder – Schichtwechsel. Zwischendurch döse ich immer wieder ein, bekomme die kleinen und großen Dramen um mich herum mit. Dinge, die ich gar nicht hören oder sehen will, denn der Paravent bietet nur ein gewisses Maß an Schutz.

Die Tage nach der OP rauschen vorbei und sind geprägt von schmerzhaften Verbandwechseln und besuchen meiner besorgten Familie. Ich bin fit genug, um meine weitere Therapie zu verhandeln und mit meinem Onkologen den schnellen Beginn der Chemo zu vereinbaren. Dazu wurde ich in ein anderes Krankenhaus verlegt. Unmittelbar vorher sollte ein Kontrast-CT gemacht werden, um einen Ausgangsstatus zu dokumentieren. Das hatte ich irgendwie verdrängt, und ich hatte fast mehr Angst vor dem Kontrastmittel als vor der Chemo. Ich hatte in meiner aktiven Zeit als Krankenschwester  einmal einen anaphylaktischen Schock nach Kontrastmittel erlebt und wollte nicht an so etwas sterben, wenn ich gerade dabei bin, den Krebs zu bekämpfen.

Solche Emotionen sind rational natürlich nicht haltbar, aber  manchmal denken Patienten nicht logisch, sondern sind einfach nur voller Angst. Ich unterschrieb trotzdem und es ist natürlich gar nichts passiert. Zwei Stunden wurde die erste Chemo angehängt. Bei jedem Tropfen sprach ich ein Gebet – das ich keine Nebenwirkungen bekomme, dass es wirkt, dass meine Haare nicht ausfallen und nochmal, dass es wirkt. Ich denke an unsere Urlaube, meine Familie und daran, dass ich leben will. Auch hier hatte ich eine sehr einfühlsame Pflegekraft an meiner Seite, die sehr oft nach mir sah, meinen Arm mit der Braunüle so lagerte, dass ich es bequem hatte, und mir eine Decke brachte. Patienten, die Angst haben, frieren, auch wenn es draußen 30 Grad sind.

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt, auch wenn Himmel und Hölle dazwischen liegen. Tage voller Hoffnung, Tage und Nächte voller Angst und Verzweiflung. Tage, wo es gut geht und ( fast) keine Schmerzen da sind, ein normaler Alltag möglich ist. Und Tage, wo man nur müde und schlapp ist, und man einfach schlafen möchte, mit der Hoffnung, dass sich beim Aufwachen alles nur als böser  Traum herausstellt.

Die Chemo hat nicht gewirkt, wie sich bei dem Kontrolle- CT herausstellte. Ein “Plan B” musste her. Ich sollte eines dieser neuen immunaktivierenden Medikamente bekommen, die erst seit 2011 in Deutschland zugelassen sind. Es gab nicht viele Erfahrungen und natürlich noch keine Langzeitstudien – jedenfalls nicht aus Deutschland oder Europa. Der Onkologe erklärte sehr ausführlich, welche Chancen dieses Medikament bot. Ich lehnt ab und er bat mich, noch etwas länger zu überlegen, und dann in zwei Tagen wiederzukommen. Wir einigten uns auf eine Stunde, in der ich spazieren ging und mit Gott und mir selbst verhandelte. Es gibt keine in Worte fassbaren Begriffe, die auch nur annähernd verdeutlichen würden, wie zeitlos und doch eine Ewigkeit dauernd diese Stunde war. Mein ganzes Leben, meine Wünsche, Träume, Hoffnungen – alles war da. Ausgebreitet vor mir. Und der Wunsch, dass es einfach vorbei sein sollte – nur noch ausruhen. Ohne Angst.

das ist jetzt fünf Monate nach Therapieende her. Es hat gewirkt, zumindest eine Remission scheint erreicht zu sein. Bis auf eine behandelbare, allerdings recht einschränkende Nebenwirkung geht es mir gut. Ich weiß, dass nicht sicher ist, wie meine Geschichte ausgeht. Vielleicht sind es nur noch ein paar Monate, vielleicht sind es aber auch ein paar Jahre. Sie wird auf jeden Fall einen Sinn haben. Sterben müssen wir alle sowieso  irgendwann. Manche haben mehr Zeit, manche weniger. Ich werde versuchen, so bewusst und intensiv, wie es nur irgendsoein geht, die Zeit, die mir bleibt, genießen und zu leben. In pinkfarbenen Schuhen.