Meinung

Gerade ist die Biografie der wunderbaren Frau Obama erschienen….. Und schon haben alle eine Meinung dazu. So wie ich auch, wenn man meinen ersten Satz liest.

Heute Morgen las ich in der Tageszeitung einen Leserbrief zu einer kirchlichen Veranstaltung, der die Meinung des Schreibers wiedergab. Logisch! Dafür sind Leserbriefe da und ganz wichtig: unsere im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit! Gott sei Dank, kann man da nur sagen.

Und schon wieder meine Meinung…. In jedem Satz schwingt zumindestens unterschwellig eine Meinung mit – und das nicht nur bei meinen Aussagen. Jeder Zeitungsartikel ist geprägt von der Anschauung, der Meinung des Verfassers. Meine Bücher sind geprägt von meiner Meinung, auch wenn ich noch so sehr versuche “neutral” zu formulieren.  Wenn ich mit meinem Sohn spreche schwingt sehr oft ein Statement mit. Ich bemühe mich, mit “Ratschlägen” zurückhaltend zu sein (und scheitere leider manchmal), denn ein Ratschlag ist auch ein Schlag…. Wie frei sind wir wirklich? Wie sehr beeinflusst uns die Meinung anderer Menschen?

Eine Freundin hat eine neue Frisur, eine Nachbarin eine neue Brille. Ja, natürlich finde ich die neue Frisur meiner Freundin klasse, die Brille etwas zu groß für das kleine Gesicht der Nachbarin. Aus der Nummer komme ich nicht raus…

Die Frage ist, ob ich ungefragt von meinem Recht auf freie Meinungsäußerung immer Gebrauch machen muss?

Bei gesellschaftlichen Themen, Politik, Gewalt gegen Minderheiten, Ungerechtigkeit und Not dürfen wir nicht schweigen. Aufmerksam machen, sensibilisieren und wichtiger noch – etwas dagegen tun.

Aber muss wirklich alles kommentiert, bewertet und für gut oder schlecht befunden werden? Die Biografie von Michelle Obama wurde in vielen Medien “gehypt”. Das hat mich beeinflusst. Ich hatte auch schon vorher eine Meinung, aber die wurde noch verstärkt. Ich freue mich auf das Buch. Aber ich werde es nicht neutral lesen können. Ich habe schon zu viele Hintergrundmeinungen gelesen und gehört.

Ähnlich ist es bei der neuen Brille der Nachbarin… Sie selber äußerte ihre Meinung und fragte dann nach meiner. Bin ich ehrlich? Sage ich das was ich dazu denke? Oder versuche ich es neutral zu formulieren (was schwierig ist)?

Offengestanden habe ich eine Meinung zur Meinung. Die soll hier zur Abwechslung aber nichts zur Sache tun. Vielleicht ist eine Frage ja manchmal besser als eine Meinung…? Z. b. bei meiner Nachbarin, ob sie sich mit der Brille wohlfühlen….?

Ich habe auch viele Meinungen zu meinen “pinkfarbenen Schuhen” bekommen – meist ungefragt. Das ich mich darin richtig super gefühlt habe,  hat kam jemand erfragt.

Auch das soll keine Meinung sein… Ist es aber wohl doch… Denn sie alle hatten das Recht ihre Meinung zu äußern…ob ich sie hören wollte oder nicht.

Fazit: Ich werde die Biografie von Michelle Obama mit Genuss lesen und mir dann eine (neue) Meinung bilden… Ob ich sie mitteilen werde, weiß ich noch nicht…. Ich werde erst darüber nachdenken.

Die Kraft der Worte

“Wie sprechen Menschen mit Menschen?” fagte der Schriftsteller Kurt Tucholsky (1890 -1935) und beantwortete seine Frage gleich selbst: ” aneinander vorbei”.

Eigene Erfahrung: Nach einer meiner OP’s soll ich zur Weiterbehandlung in eine andere Abteilung verlegt werden.  Die Chefarzt-Visite “rauschte” ins Zimmer, ich werde mit einem kurzen Nicken bedacht. Dann rasselt der Stationsarzt den Verlauf herunter und berichtet zum Abschluss, dass die Verlegung am morgigen Tag in die Wege geleitet ist. Der Chefarzt tätschelt meinen Fuß und sagt, schon halb im Gehen: “Na, dann ist ja alles wunderbar!”

Ein klassisches Beispiel von “Knapp daneben ist auch vorbei”. Natürlich meinte der Chefarzt es wohlwollend. Wahrscheinlich wollte er damit zum Ausdruck bringen, dass der weitere Behandlungspfad gut organisiert sei – was ja eigentlich eine vertrauensbildende Maßnahme ist. Die Wortwahl war allerdings völlig unangemessen, denn natürlich war wirklich gar nichts “wunderbar”.

Jeder von uns weiß, welche Kraft und Macht Worte haben. Sie können verletzen, trösten, unterstützen, wehtun oder uns zum Lachen bringen. Im Krankenhaus, in der Altenpflege und auch in der ambulanten Versorgung ist Sprache und Kommunikation ein wesentlicher Bestandteil der Patientenversorgung. Aber auch besorgte Angehörige, andere Berufsgruppen und die Kolleginnen aus der Funktionsabteilung wollen und brauchen Informationen.

Kommunikation läuft nicht nur über Worte. Unsere Gestik und Mimik strafen oft dem gesprochenen Wort Lügen. Und Menschen, die verängstigt und unsicher sind, haben ein besonders feines Gespür, ob die Nachricht, bzw. das Gespräch authentisch ist. Auch nicht ausgesprochene Botschaften werden von Patienten interpretiert und fehlgedeutet. Oder sie hören “zwischen den Zeilen”. Und selten werden diese Interpretationen nochmals erfragt oder geklärt. Sie blockieren und lähmen den Patienten und das kann sich auch negativ auf den Heilungsverlauf auswirken. Vertrauen geht verloren.

Natürlich gibt es auch positive nonverbale Signale, die tröstlich, unterstüzend und stärkend wirken.

Eigene Erfahrung: Ich warte seit zweieinhalb Stunden im Wartezimmer. Als eine weitere Patientin aufgerufen wird, gehe ich zum Info-Tresen und frage höflich nach, wann ich dran bin. Die Kollegin bellt mich an: “Es dauert so lange wie es dauert!” In diesem Moment kommt eine andere Schwester vorbei, die die Augen in Richtung der Schwester am Info-Tresen verdreht und mir dann verschwörerisch zuzwinkert.

Ich empfinde das Zwinkern als Signal: Ich sehe dich, und du bist nicht alleine. Die Schwester hatte sich, womöglich unbewusst, mit mir solidarisiert. Ich wusste, ich hatte eine Verbündete und das machte mir die Wartezeit erträglicher.

Kommunikation ist nicht immer nur reden. Der amerikanische Schriftsteller Ernest Hemingway sagte einmal: “Mann braucht zwei Jahre, um sprechen zu lernen und fünfzig, um schweigen zu lernen.” Pflegekräfte empfinden Schweigen häufig als schwer auszuhalten, als unangenehm oder sogar als bedrohlich. Doch manchmal gibt es einfach nichts zu sagen. Für das “Aussprechen” haben wir hingegen viel Verständnis. Ganze Berufsgruppen leben davon. Wenn ein Patient bewusst nicht reden will und wir ihm trotzdem ein Gespräch aufdrängen, üben wir Macht aus. Schweigen hat nichts mit Sprachlosigkeit zu tun. Es gibt einen Kommunikationsweg durch das Schweigen hindurch, indem wir das Schweigen einfach aushalten. Denn Schweigen kann heilsam für die gesundende Seele sein, und trotzdem vermitteln Pflegekräfte durch ihr “Da-Sein” und das Aushalten des Schweigens eine Solidarität mit dem Patienten, an die er sich halten kann.

(Der vollständige Artikel ist in “Die Schwester Der Pfleger” März 2014, S. 222 – 225, Bibliomed Verlag Melsungen, erschienen.)