Baustelle

Nach dem “Brücken bauen” bleibe ich noch ein bischen beim Bauen – aber eher beim “wieder aufbauen”.

Vor ein paar Tagen war ich auf einer “Großbaustelle”. Ein altes Haus um die Jahundertwende wird komplett saniert und modernisiert. Was für eine Arbeit! Wäre es nicht einfacher, das alte Haus abzureißen und ein ganz neues, nachhaltig gebautes Öko-Niedrigenergie-Bio-Natur-Ying und Yang- solartechnisch ausgestattetes Gebäude zu errichten?

Als wir vor 10 Jahren unser “altes Haus” umbauten, war es uns wichtig, Altes zu erhalten. Das Haus hatte mit seinen fast 50 Jahren schon einige “Knitterfalten” … So wie die neuen Besitzer – mein Mann und ich. Es war eine echte Herausforderung zu entscheiden, was wir wie verändern und damit verbessern wollten. Alte Wände einreißen, neue aufbauen. Heizung, Fenster, Bäder, Fliesen, Türen. Jede Menge Entscheidungen. Und erst der Dreck! Ich hatte arge Befürchtungen, jemals in so einer dreckigen, für mich unüberschaubaren Baustelle wohnen zu können.

Als ich die Großbaustelle betrat, fühlte ich mich sofort in die Umbauzeit unseres Hauses zurück versetzt. Ich hatte auch hier keinerlei Vorstellung, wie das Ganze mal werden könnte. Ich hatte eher das Gefühl durch eine Vergangenheit zu wandeln, die ich nicht kannte. Denn hier hatten ja schon einmal mehrere Familien gelebt, gelacht, geliebt, geweint und gehofft. Was waren das für Menschen? Was waren ihre Träume – und wichtiger noch: Waren sie in Erfüllung gegangen?

Unter der teilweise schon abgerissenen Tapete waren aufgemalte Blumenornamente zu erkennen. Das kannte ich so ähnlich auch aus unserem Haus. In Ermangelung von Tapeten hatte man früher einfach mit Farben das nackte, kaum verputzte Mauerwerk verziert. Mir gefiel es sofort, wohlwissend, dass die Malrei wahrscheinlich nicht erhalten werden kann.

Was bleibt von der Vergangenheit, die die Räume des alten Hauses ausatmen? Eine Idee, ein Gefühl, eine Vision, ein Traum? Wenn ich in unserem Haus die alten, bearbeiteten Treppenstufen hinauf oder hinunter gehe denke ich manchmal an die früheren Bewohner. Was sie wohl gedacht haben, auf welchem Weg sie wohl waren, als sie eilig die Treppe hinab liefen?

Die Baustelle wird sich jeden Tag verändern. Fleißige und erfahrene Hände werden das Kaputte und Alte ersetzen, erneuern oder wieder heile machen. Und irgendwann werden moderne Tapeten auf die Ornamente geklebt. Und es wird hell und freundlich in den Räumen sein und neue Träume werden in dem alten Haus geträumt…. Oder sind es vielleicht doch manchmal Splitter der vergangenen Träume?

Ich freue mich, zu zu sehen, wie das Haus wieder aufgebaut wird und werde den neuen Bewohnern möglicherweise Brot und Salz zum Einzug bringen, damit ein guter Segen auf dem Haus liegt.