Tot sind immer nur die anderen

Nirgends  wird so viel gestorben wie im Krankenhaus. Ist es deshalb für uns Krankenschwestern Alltag – sogar eine Selbstverständlichkeit? So wie ja auch täglich im Kreissaal neues Leben beginnt. Das ist meistens ein freudiges Ereignis, ein kleiner Mensch, der das ganze Leben noch vor sich hat, erblickt das Licht der Welt. Und trotzdem beginnt schon an diesem ersten Tag der Rest seines Lebens. Es ist eine Frage des Standpunktes – ist das Glas halb leer oder halb voll?

Ich lese und höre viel von der Tabuisierung des Todes, aber ist das wirklich so? Natürlich gab es früher eine wesentlich stärkere Präsenz des Todes im Alltag. Die Menschen wurden krank oder alt (nicht so alt wie heute) und starben einfach, ohne lange Pflegezeiten oder medizinischen High Tech-Aufwand. Es gab Abschiedsrituale in der dörflichen Gemeinschaft und in den Familien. Heute wird überwiegend in Institutionen gestorben. Unabhängig davon, das in den Medien dauernd und ständig öffentlich gestorben wird und zwar in Massen, gibt es im Internet Foren, Blogs, virtuelle Trauerplattformen usw., so dass das Thema Tod sehr wohl präsent ist. Aber wie bereit sind wir, uns im Krankenhaus, Pflegeheim oder in unserer privaten Umgebung der Unmittelbarkeit des Todes zu stellen? Denn mitnichten sterben immer nur die Anderen.

In der Palliative Care Weiterbildung, in der onkologischen Weiterbildung, in der Pain Nurse Weiterbildung ist immer ein Themenkomplex “Umgang mit Sterbenden” o.ä. vorgesehen. Und gelegentlich wird auch erörtert, ob der Tod in seiner Erbarmungslosigkeit ein Feind ist, oder manchmal eben auch ein Freund. Das es Menschen mit einer Todessehnsucht gibt, habe ich auf der Intensivstation gar nicht mal so selten erlebt. Verliert der Tod seinen Schrecken, wenn er nah ist, oder wenn man alt ist? Unausweichlich ist er allemal -  heißt es doch schon bei Augustinus: “Der Tod ist gewiss – ungewiss ist nur seine Stunde.” Aber vielleicht ist es genau das, was uns ängstigt – wir wissen nicht wann und wir wissen nicht wie. Hier finden viele Menschen Hoffnung, Trost und Stärke in ihrem Glauben. Sie glauben wie ich daran, das mit dem Tod eben nicht alles endet, sondern das es lediglich ein Übergang ins ewige Leben ist - in den Himmel.

Die Geburt kann man mittlerweile relativ genau zeitlich festlegen. Wir sind auf das Ereignis vorbereitet und vieles, was  vor, während und nach der Geburt geschieht, ist sehr detailliert beschrieben. Der Tod und das “tot sein” hat noch niemand wirklich beschreiben können. Die Umstände, wie und wo gestorben wird, erlebt seit den 80zigern durch die Hospiz- und Palliativbewegung eine wahre Renaissance. Und das ist gut so. Niemand sollte alleine sterben müssen, geplagt von Schmerzen und Angst. Es ist gut dann Menschen bei sich zu haben, die einen begleiten.

Tatsächlich kann niemand seinen eigenen Tod “erleben” (was ja schon ein Widerspruch in sich ist). “Deshalb gilt: Tot sind immer nur die anderen. Und es lässt sich beinahe polemisch fragen: Wer sonst.” ( Metzler, M. Soziologie Magazin 1/2012 S. 28).

Ich glaube, dass es danach ein neues Leben gibt, was wohlmöglich noch viel schöner ist als Dieses!

Foto: San Miniato al Monte, Firenze, Ralf Kohröde

Schweden – Abba schön

The winner takes it all, Dancing Queen, Honey Honey, SOS, Super Trouper. Wer wie ich seine Teenie – und Partyzeit in den 80zigern hatte, kann diese Lieder noch immer auswendig. tatsächlich komme ich nicht umhin, diese Lieder zu summen, als ich an der Küste oberhalb von Göteborg entlang fahre um die Schären zu erreichen. Orust und Tjörn sind die Ziele. Schären sind kleine Inseln, die in der Eiszeit entstanden sind und vom Eis abgeschliffen wurden. Sie können wenige Quadratmeter bis zu einigen Quadratkilometern groß sein. Orust ist z.B. die drittgrößte Insel von Schweden und 345 km² gross.

Der Himmel ist bedeckt als ich mit dem Auto über die Brücke nach Tjörn fahre. Die Insel erst einmal liegenlassen, so lautetet eine Empfehlung von Freunden, die schon mehrfach da waren. Allein die Fahrt durch das Inselinnere ist spektakulär. Gefühlt ist es sehr gebirgig, aber das Navi zeigt nur Höhen bis 150 m über NN an. Die Felsen sind alle sehr glatt und es ist karg. Keine Bäume oder Sträucher nur gelbe Flechten klammern sich an die grauen, leicht marmorierten Steine. Überhaupt wirkt alles sehr farblos und etwas schummerig, was aber an dem fahlen Licht liegt. Als die Sonne etwas später durch die Wolken bricht explodieren die Farben. Der kleine Ort an der Küstenseite hat viele entzückende weiße, rote und blaue Holzhäuser. In der “Oberstadt” stehen überwiegend weiße, moderne Häuser, die mit schwerem Gerät in die Felsen gebaut wurden. Scheint eine Preisfrage zu sein, wo man hier wohnt.

Ich gehe Richtung Hafen und sehe einen Leuchtturm, zu dem man über die Felsen laufen kann. Ich bleibe auf der Hälfte des Weges stehen, finde einen “bequemen” Felsen und lasse die Kulisse auf mich wirken. Immer wieder fahren kleine Fischerboote raus, Möwen kreischen und es ist keine Menschenseele zu sehen. Der Himmel reißt immer weiter auf und es ist angenehm warm, da auch kaum Wind weht. Ich merke, dass mein Herzschlag langsamer wird. In mir kehrt Ruhe ein. Selbst die Abba Melodien verstummen. Ich spreche ein Gebet und bleibe eine ganze Weile an diesem Ort sitzen.

Irgendwann bekomme ich Hunger und mache mich auf die Suche nach einem Kiosk oder Café. Es gibt einige am Hafenbecken, aber die haben alle zu. Es ist Wintersaison. Ein älterer Mann mit blonden Locken, die unter einer blauen Strickmütze hervor schauen, spricht mich auf Schwedisch an, als er von einem Segelboot herauf klettert. Er hält mich offensichtlich für eine Schwedin. Auf Englisch erzählt er, das nur 150 Menschen im Winter hier sind. In den Sommermonaten kommen die Stockholmer und Göteborger Besitzer der schicken Häuser, die so ab 500000€ kosten. Mein Traum von einer kleinen Hütte auf Orust zerplatzt. Ich beneide ihn um sein Segelboot, aber er winkt ab und sagt, dass er eigentlich viel lieber mit seiner Harley auf Orust unterwegs ist. Ich muss schmunzeln – habe ich es doch gewusst! Er gibt mir noch einen Tipp wo evtl. ein ICA (schwedischer Lebensmittelladen) offen ist und wünscht mir einen schönen Aufenthalt. Mir kommen die Menschen hier irgendwie freundlicher vor, aber das mag auch an meiner positiveren Grundstimmung liegen.

Ich finde den offenen Laden. Dort gibt es alles, was man zum Überleben braucht. Zeitgleich höre ich Kirchenglocken und erinnere mich, dass ich einen Kirchturm gesehen habe. Schnell treffe ich auf eine relativ große, aus hellen Steinen gemauerte Kirche. Unterhalb der etwa 20 Stufen stehen 2 rote Rollatoren und ich frage mich, wie deren Besitzer in die Kirche gekommen sind, da es weder Rampe noch einen anderen Eingang gibt. Ich werde dieses Rätsel nicht lösen und trete in die helle freundliche und lichtdurchflutete Kirche ein. Eine Frau mit einer Kaffeekanne spricht mich wieder auf Schwedisch an und ich frage auf Englisch, ob ich für einen kleinen Moment in die Kirche schauen darf. Sie lacht und nickt. Es riecht verführerisch nach Kaffee und Kuchen und in einem durch Glas abgetrennten Raum sehe ich eine gedeckte Kaffeetafel, mit lachenden, blonden Menschen aller Generationen.

Ich bin überrascht, dass hier im Vorraum der Kirche offensichtlich ein Familiengeburtstag stattfindet und habe nur einen kurzen Blick für das Innere der Kirche. Eigentlich interessiert mich sonst immer die Kirchenkunst, aber irgendwie zieht es mich wieder an den Eingang, bzw. in den Vorraum, der mit einer hellen Küchenzeile ausgestattet ist, zurück. Ich muss an das Abendmahl Bild von Leonardo da Vinci denken, an die vertrauensvolle Gemeinschaft und die Verbundenheit. Das erkenne ich in der Szenerie hier im Vorraum der Kirche auch und freue mich einen Herzschlag lang mit einbezogen zu sein, denn Einige nicken mir freundlich zu. Dann fühle ich mich wie ein Eindringling und gehe schnell hinnaus. Ich will nicht stören.  Eine Familie zu haben ist toll. Ich denke an meine und habe wieder Abba im Ohr:…the winner takes it all…

Marienberg (Dörnwasserlos, Franken)

Ich hatte ein Versprechen zu erfüllen. Auf dem Marienberg war eine Fürbittenmesse für mich gehalten worden und ich versprach, wenn Menschen, die mich gar nicht kennen, für mich beten, dann möchte ich etwas zurückgeben – Danke sagen. Eine Woche ehrenamtliche Arbeit, egal was.

Ende August fuhr ich über 500 km in Richtung Franken. Ich liebe diese Strecke (denn ich fahre sie oft) über Hannover, Kassel, durch die Rhön und Fulda. Es wird langsam immer hügeliger. Es ist Hochsommer und sehr  heiß und ich freue mich, dass die Klimaanlage gut funktioniert. Kurz hinter Bamberg verlasse ich die Autobahn und fahre über die Landstraße Richtung Scheßlitz/Dörnwasserlos. Nach der Ortschaft geht es links den Berg hinauf (fast 600 m über NN). Ich fahre durch ein Tor – das Gelände ist umgeben von einem hohen Zaun. Es sind die Reste der ehemaligen NATO Raketenbasis der Amerikaner, die hier früher beherbergt war.

Das gesamte Gelände umfasst 10 ha, hat einen Spiel – und Sportplatz, eine kleine Gaststätte, wo es Sonntags eine kleine, aber feine Speisekarte gibt. Getränke und Eis gibt es für Wanderer, Pilger, Mountainbiker und Motorradfahrer. Und ich bin begeistert von der Blumenpracht rund um die Häuser und Wege. Sie werden mein Hauptbeschäfftigungsfeld sein. Ich lerne dort, dass Gartenarbeit sehr kontemplativ sein kann, auch wenn ich von “Viechern” total zerstochen werde.

Das Reinisch Haus, meine “Herberge” für die Woche, ist mit sehr freundlicher, moderner, heller und schlichter Einrichtung ausgestattet, fast wie in einem Kloster. Am Eingang steht ein Gedenkstein für Franz Reinisch (01.02.1903 – 21.08.1942), ein Pater, der in der NS Zeit Farbe bekannt hat.  ”Farbe bekennen” ist auch das Motto des Gästehauses. Pater Franz verweigerte den Fahneneid auf Hitler und wurde in Berlin enthauptet. Sein Lebensweg war ein Protest gegen Mitläufertum und Unverbindlichkeit. Seine Biographie wird mich noch lange nach meiner Abreise beschäftigen.

Auf meinem ersten Erkundungsgang entdecke ich auf einem Hügel eine winzige kleine Kapelle – “Kappelchen”, wie es auch liebevoll genannt wird. Hier gibt es Sitzplätze für maximal 20 Menschen. Als ich diesen stillen Raum betrete, muss ich geblendet die Augen schließen. Nicht wegen dem üppigen bayrischen Barock, das ich eigentlich erwartet habe, sondern wegen der Explosion von Farben, die durch das Sonnenlicht, das durch die modernen Kirchenfenster scheint, entsteht. Es ist angenehm kühl hier und vielleicht noch ein bisschen stiller, als es “hier oben” sowieso schon ist. Ich gehe während meines Aufenthaltes jeden Tag hierher und kann dort innere Einkehr halten. Es ist fast immer leer. Nur gelegentlich ist mal jemand dort. Bei einer Messe allerdings platzt das Kappelchen aus allen Nähten, denn viele Leute aus dem Ort kommen Donnerstags hierher. Ich treffe bekannte Gesichter, denn viele Menschen aus der Umgebung kommen regelmäßig hierher um zu helfen. Eine derartig große Bereitschaft ehrenamtlich tätig zu sein, habe ich selten erlebt. Sie sprechen auch von “Ihrem Berg” und ich spüre das Gefühl von Heimat, das die Menschen hier oben haben. Fast bin ich ein bisschen neidisch, da ich nur eine begrenzte Zeit hier bin und nehme mir fest vor wiederzukommen.

Die Woche auf dem Berg ist geprägt von Stille, innerer Einkehr, Garten- und Küchenarbeit, sehr viel Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft und von schönen Begegnungen mit freiwilligen Helfern. Besonders schön sind die Gespräche mit den beiden Schwestern der Schönstatt Bewegung. Sie kümmern sich um alles, was auf dem Marienberg zu tun ist und sind die “guten Seelen” des Berges.

Zeit für Ausflüge in die nähere Umgebung habe ich auch. Das mittelalterliche  Bamberg (Weltkulturerbe) steht gleich mehrmals auf meinem Programm. Bayreuth, Kulmbach (Bierbrauerstadt!) und Coburg sind weniger als 50 km entfernt und allesamt sehenswert. Zum Wandern in der fränkischen Schweiz brauche ich nochmal eine extra Woche, denn die Landschaft ist atemberaubend. Für alle “Nicht-Franken” empfiehlt sich ein Sprachführer, denn die fränkische Mundart ist entzückend, aber für ein ungeübtes Ohr manchmal etwas  schwer zu verstehen.

Wer also mal eine Auszeit von der hektischen Welt nehmen möchte, ist hier allerbestens aufgehoben (schaut bei den Links).  Ich fahre bald wieder auf den Berg, denn man ist dort dem Himmel ein kleines Stück näher.