Heimgeherei

Vor gut dreieinhalb Jahren ging die älteste Tochter einer sehr guten Freundin auf Wanderschaft. Samstag kam sie begleitet von einem Dutzend Wandergesellen (natürlich in Kohorten aufgeteilt, mit Mundschutz und unter Wahrung der Abstandregeln!) wieder heim – nach Hause…..Für die jungen Heimgeherin war es sicher eher ein “ankommen” und wohlfühlen, aber auch ein Abschied einer besonderen Zeit… Das  zeigte sich in den glücklichen Tränen als sie ihre Eltern und ihre Schwester umarmte.

“Heimgeherei”. Was für ein schönes Ritual! Was für ein schönes Gefühl! Was für ein schönes Wort!

Ich konnte kurz mit der jungen Frau sprechen. Sie sagte, dass sie sehr viel erlebt hat auf ihrer Reise quer durch Europa. Und das sie jeden Tag Tagebuch geschrieben habe. Es gäbe bereits viele Berichte, Zeitungsartikel und TV- und Radiointerview Anfragen. Um wieder in die Heimat zu gelangen, um die es während ihrer Wanderschaft eine “Bannmeile” von 50 Kilometern gab, musste sie über das Ortschild klettern .Umgekehrt war es so bei der “Losgeherei”….

Es gibt viele Rituale in den “Schächten”,  also den jeweiligen Handwerksgilden. Das zeigt sich auch in den bunten, vielfarbigen Kluften. Zimmerer, Polsterer, Konditoren, Tischler und viele mehr. Sehr beeindruckend, dass mehr als die Hälfte der Wandergesellen junge Frauen waren! Sie hatten ihre geschnürten Bündel und einen Wanderstab dabei. Schon bei der “Losgeherei” durfte ich dabei sein und jede Menge Rituale waren zu erfüllen. Unter andrem die “Umkluftung”. D.h. die normale Alltagskleidung wird abgelegt und dann für mindestens drei Jahre und einen Tag nur noch die Kluft getragen. Was ist das wohl für ein Gefühl wieder Jeans und ein Sweatshirt zu tragen…?

Das Gefühl nach Hause zu kommen ist für die allermeisten Menschen schön. Wie es sich anfühlt nach einem langen Arbeitstag nach Hause zu kommen, vermissen wir zur Zeit oft, da viele von uns im Homeoffice arbeiten und eher das Gefühl haben eingesperrt zu sein. Ich empfinde das nicht so, da ich schon vor der Pandemie und den diversen Lockdowns überwiegend von zu Hause gearbeitet habe. Immer in ein kuscheliges Bett zu krabbeln, eine warme Dusche und saubere Handtücher zur Verfügung zu haben, ist auf der Wanderschaft wahrscheinlich nicht jeden Tag verfügbar. Wie wunderbar sich das alles anfühlt, erkennt man oft erst, wenn man es längere Zeit nicht hatte.

Und überhaupt: ein Zuhause zu haben ist etwas Besonderes. Ein Ort, an den man/frau zurückkehren kann, wo man sich sicher und geborgen weiß ist viel wert. Ich habe oft an die junge Frau auf Wanderschaft gedacht. Mein Ding wäre das nicht und ist es auch nie gewesen. Ich bewundere ihren Mut und ihre Entschlossenheit und “beneide” sie um die vielen kleinen und großen Abendteuer, die sie sicher erlebt hat…. Ich vermute, dass sie aber auch sehr froh ist, wieder zu hause zu sein. Ein neuer Lebensabschnitt liegt vor ihr. Sie hat Pläne. Ich bin sicher, nach den Erfahrungen, die sie gesammelt hat wird sie einige Dinge wesentlich “unaufgeregter” betrachten, als so manch Andere in ihrem jungen Alter. Sie kann auf Erfahrungen zurückgreifen, die nicht viele Menschen haben. Was für ein Schatz. Ich freue mich schon jetzt auf ihre Erzählungen…bei mir zu Hause!

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