Hildegard von Bingen

Sich mit mächtigen Männern anzulegen erfordert viel Mut, Selbstbewusstsein und Gottvertrauen. Das gilt heute, aber besonders um 1150 n C., als die Stellung und Wertschätzung von Frauen noch eine ganz Andere war. Dennoch scheute sich eine der berühmtesten Frauen ihrer Zeit nicht, genau das zu tun. Sie stritt mit hohen geistlichen Amtsträgern bzw.  Erzbischöfen.  Hildegard prägte ein neues Frauenbild in der Kirche. Sie selbst, eine benediktinische Nonne und spätere Äbtissin hatte viele Fähigkeiten, nicht nur Führungsqualitäten sondern auch Forschergeist. Sie gilt bis heute als Universalgelehrte, eine Bezeichnung, die man nur wenigen Menschen zudenkt, u.a. auch Leonardo da Vinci.

Bekannt ist Hildegard von Bingen heute besonders wegen ihrer biologischen, pharmazeutischen und medizinischen Erkenntnisse. Die  Kloster- und Hildegard-Medizin boomt seit einigen Jahren. Durch ihre naturkundlichen Erkenntnisse über die Heilwirkung von Pflanzen und Kräutern wird sie heute teilweise auch als erste deutsche Ärztin bezeichnet.

Was veranlasste diese Frau sich gegen die Mächtigen durchzusetzen und den Kranken zu helfen? Sicher war es zu einem großen Teil ihrer christlichen Nächstenliebe geschuldet. Sie sah wohl ihren göttlichen Auftrag darin. Auch heute noch gibt es viele Menschen, insbesondere nach wie vor Frauen, die ihre “Berufung” im Helfen und Heilen sehen.

Warum bin ich als Krankenschwester angetreten? Auch ich wollte helfen, etwas Gutes tun, mit Menschen arbeiten und für die Hilfebedürftigen da sein. Ich machte meine Ausbildung Mitte der 80ziger Jahre in einem kirchlichen Krankenhaus. Wir Schülerinnen hatten damals noch Zeit um für die Privatstationen Servietten zu falten und eine Zweitausbildung in Floristik zu absolvieren. Ich lernte, dass man Rosen in kalten Wasser baden muss, damit sie länger halten, aber auch, dass ein kleiner Schuss Desinfektionsmittel im Wasser mich von der lästigen Pflicht der Blumenpflege am nächsten Tag befreite. Das war damals meine Art mich gegen eine “mächtige” Stationsschwester durchzusetzen.

Ich lernte aber auch, besonders von den Ordensschwestern, wie man Patienten versorgt, sich ihnen zuwendet – ihnen begegnet, in Angst, Schmerz und Not. Vielleicht haben Frauen dafür tatsächlich eine besondere Wahrnehmung, vielleicht ist es aber auch der Tradition geschuldet, dass es überwiegend Krankenschwestern gibt, obwohl die Zahl der männlichen Auszubildenden erfreulicherweise jährlich steigt.

Was sich auch verändert hat, ist die Zeit, die man für die Patienten hat. Falldichte, DRG’s, Verweildauer, Drehtürefekt, blutige Entlassungen – all das sind beherrschende Vokabel im Alltag des Krankenpflegepersonals. Da ist schon lange keine Zeit mehr für Blumenpflege, aber leider auch oft nicht für Gespräche oder einfach mal zuhören und da sein. Das stört uns Krankenschwestern selbst am allermeisten. Denn dafür sind wir doch ursprünglich einmal angetreten -  als Universalgenies in Sachen Helfen. (Berufs-)politisch muss sich Vieles ändern. Doch das können wir nur selber, denn sonst bestimmen Andere für uns. Auch wir sind, wie Hildegard von Bingen, aufgerufen uns gegen die Mächtigen durchzusetzen und unsere Anwaltschaft für die Nöte der Patienten wahrzunehmen, um ihnen das zu gewähren, was Begegnung ausmacht: Würde, Zeit und Achtung.

(Foto: Abtei St. Hildegard in Eibingen., von Ralf Kohröde)