Elphi, Zeit und Currywurst

Als Kind fand ich “Familienausflüge” langweilig bis ätzend (das dann im Teenageralter). Irgendwelchen kulturellen Kram angucken, Berge erwandern um dann hinterher feststellen zu müssen, dass es auch einen Sessellift gegeben hätte, mit meinen Eltern durch Städte laufen ohne gleichaltrige coole Freundinnen oder Freunde…. Einfach öde – so empfand ich es damals, als ich Zeit für eine unbegrenzte Selbstverständlichkeit hielt.

Ich hatte ja auch keine Wahl, denn natürlich legten meine Eltern das Programm fest. Ich wurde natürlich auch mal gefragt, aber die Vorschläge die ich hatte, waren nicht sehr kompertiebel mit den Vorstellungen meiner Eltern für einen pädagogisch wertvollen Familienausflug.

Jetzt war es umgekehrt. Ich nötigte meine Eltern geradezu ihren Enkel mal in seiner Studienstadt zu besuchen und sich parallel dazu die kulturellen Highlights die es dort reichlich gibt in natura in Augenschein zu nehmen.

Nach einem leckern Mittagessen fuhren wir durch die Innestadt (was schon ein Abenteuer an sich ist, weil Grosstadtrambos mit Angeberautos immer Vorfahrt haben, auch wenn die Ampel rot ist) zur sagenumwobenen Elphi. Natürlich kannten wir sie aus den Medien, aber sie ist tatsächlich imposanter als ich dachte. In dem hypermodernen, hellen, mit breiten Parkbuchten (für Grosstadtrambos mit Angeberautos, die nicht einparken können) ausgestatteten Parkhaus fanden wir entgegen allen Befürchtungen sofort einen Parkplatz (Als wir wiederkamen, waren wir in Besitz desselbigen, so hoch waren die Parkgebühren!)

Also erstes wurde uns mitgeteilt, das mein Hund Rala schon mal nicht mit auf die Plaza durfte. Also schickte ich meine Eltern mit Enkel über die “größte Rolltreppe Europas” alleine dorthin. Ich ging derweil mit meinem Hund an der Promenade entlang und wunderte mich sehr. Ich war zum Glück gut gesättigt, sonst wäre ich wohl in Versuchung gewesen eine Currywurst für 9,50€ zu kaufen… (und die war nicht mal vegetarisch/vegan…).

Die meisten der Spaziergänger waren gut gelaunt und offensichtlich geneigt viel Geld für Kaffee, Eis und Currywurst aus zu geben. Ich genoss den Ausblick auf den Hafen, die hypermodernen Gebäude und das Wissen, bald wieder in meiner (spiessigen) überschaubaren und gemütlichen Kleinstadt zu sein.

Der Besuchertrupp, den ich auf die  Plaza geschickt hatte, kam begeistert zurück. Die Augen meiner Eltern strahlten, sie lachten und scherzten mit ihrem Enkel, der lebhaft gestikulierte und erzählte. Dieses Bild hat sich auf meiner persönlichen Festplatte eingebrannt. Und keine noch so aufwendige Architektur (obwohl sie wirklich sehenswert ist!) noch eine Schickimicki-Currywurst, noch Parkplatz-Reichtum können dieses zeitlose, herzerwärmende Bild  in meinem Herzen toppen. Wahrscheinlich wird die Elphi meine Eltern, mich und wahrscheinlich auch meinen Sohn überdauern. Aber die geschenkte Zeit, die wir gemeinsam hatten, wird nicht vergehen. Sie ist und bleibt in unseren Herzen und niemand kann uns das nehmen.

Fazit: Steine sind nicht so zeitlos wie die Liebe zu seiner Familie.

Pokémon GO

Im Moment gibt es wirklich sehr wichtige Themen – in den Medien hagelt es Katastrophen: Nachrichten von Krieg, Vertreibung und Terror, der verrückte US-Wahlkampf und Olympia…. Und zeitgleich sind viele Menschen – junge wie alte – auf der Jagd…. So wie ich.

Wenn irgendwo am Horizont ein neuer “Hype” auftaucht, bin ich sicher dabei. Solche Dinge begeistern mich sofort und ich muss es ausprobieren… weil ich mir meine eigene Meinung bilden möchten. Und das kann ich nur, wenn ich selber Erfahrungen sammle. Binnen kürzester Zeit habe ich die App für “Pokemon GO” heruntergeladen und ärgere mich, dass ich mich wegen Serverüberlastung nicht gleich einloggen kann. Ein paar Stunden später klappt es und ich darf als erstes meinen Avatar erstellen. Das finde ich schon mal sehr gut, da ich zwischen verschiedenen Outfits wählen kann.

Mein Sohn hat vor fast 15 Jahren schon Pokemon (ich nenne sie in der Mehrzahl ” Pokemänner”) gesammelt. Allerdings als Papierkarten. Und auf einem Nintendo. Und als Figuren und was weiß ich, was es noch so alles gab. Jedenfalls wurden Stunden mit sortieren, sammeln und spielen mit anderen Pokemon-infizierten Kumpeln verbracht. Ich habe das Spiel schon damals nicht verstanden, wusste aber, dass man die “Pokemänner” weiterentwickeln kann.

Nun sehe ich in der Stadt viele Menschen, die gebannt auf ihr Handy starren, herumlaufen und mit ihren Kumpeln “Pokemänner” jagen und augenscheinlich Spaß an der frischen Luft mit viel Bewegung (man mus zwei Kilometer laufen um ein Poke-Ei auszubrüten) haben. Daran kann ich nichts Schlimmes finden…. Allerdings wurden ich und mein Hund schon mehrfach umgelaufen, da der Blickwinkel sehr eingeschränkt ist, wenn man auf sein Handy starrt… Ärgerlich!

Ich bin mir sehr deutlich bewusst, dass ich viel Zeit mit “unnützem” Kram verbringe; Internet-Daddelei, “Social media”, Fernsehen gucken mit amerikanischen (Krankenhaus)-Serien und durch Schuhläden bummeln. Aber das ist auch ein Teil meines Alltags. Und was heißt schon unnütz? Es ist eben meine Zeit und dafür muss ich mich vorläufig nur vor mir selber rechtfertigen. Ich erwähne sehr oft, dass ich von “Begegnungen” partizipiere. Und wenn es eben über soziale Netzwerke ist oder im Schuhgeschäft, so hat vielleicht auch das seine Berechtigung. Und wenn man gemeinsam mit Freunden virtuellen Wesen hinterherjagt, ist das doch auch eine Form von Begegnung. Es muss ja nicht für jeden passen… Ich hatte kürzlich jedenfalls einen nette Begegnung wegen der “Pokemänner”, weil ich mir auf Grund der Abwesenheit meines Sohnes von ein paar anderen coolen Jugendlichen erklären lassen habe, wie das mit der “Poke-Arena” geht. Und sie waren sichtlich amüsiert, dass ich mich damit beschäftige, halfen aber bereitwillig (vielleicht haben sie auch Müter, die auf der Jagd sind…). Jedenfalls war es eine nette Begegnung mit den gut gelaunten jungen Menschen.

Fazit: Zeit ist sehr kostbar. Aber wie wir sie nutzen bleibt uns überlassen und manchmal entsteht auch aus vermeintlich “verschwendeter” Zeit eine besonder Begegnung….

Generationen-Wellen

Samstagabend – Treffen mit Freunden zum Spargelessen. Unter viel Gelächter und Gequassel kommen wir im Restaurant an. Wir sehen uns zwar häufig und telefonieren untereinander oft, trotzdem geht uns der Gesprächsstoff nicht aus.

Irgendwie kommen wir auf Familiengeschichten unserer Eltern und Großeltern, Onkeln und Tanten. Kriegsgenerationen.  Geschichten von Väter und Söhnen, die sich durch den Krieg nie richtig kennen gelernt haben, Töchter, die dem damaligen Frauenbild entsprechend sozialisiert wurden, Ehen und Beziehungen, die in der damaligen Zeit nicht dem “guten Ruf” entsprachen oder nicht “standesgemäß” waren, traumatisierte Heimkehrer, starken Frauen, die alleine mit fünf Kindern ihr Leben organisieren mussten. Alpträume, Verlustängste, körperliche und seelische Verletzungen in den Familien und Erfahrungen, die an die Kinder und Kindeskinder weiter gegeben wurden oder bewusst tabuisiert oder verschwiegen wurden und erst Jahrzehnte später an die Oberfläche traten.

Jeder von uns Freunden konnte aus seiner Familiengeschichte dazu etwas erzählen, und uns wurde immer klarer, wie sehr wir selber noch von den weitergegebenen Erfahrungen und Traumen im weitesten Sinne geprägt sind. Und noch erschreckender, was auch wir immer noch an unsere Kinder davon weiter gegeben haben. Wie Wellen prägen Erkenntnisse, Erfahrungen und Erlebtes durch die Zeit hinweg unser Leben. Und von Dingen, die wir nicht selber erlebt haben, weil wir noch gar nicht geboren waren – wissen wir…! “Zelluläres/genetisches Wissen”, “frühkindliche Prägungen”, oder einfach nur die Summe des Erzählten?

Ich hatte ein Bild mit Wellen vor Augen, die entstehen, wenn wir einen Stein in eine Pfütze werfen. Meine Generation ist schon der zweite oder sogar dritte Kreis, den der Stein/Krieg erzeugt. Er wird schwächer, je weiter er vom Zentrum entfernt ist, aber die Erschütterung ist immer noch spürbar.

Im ersten Moment fand ich das ziemlich erschreckend. Aber es wurde uns in dem Gespräch klar, das wir natürlich auch positive Wellen abbekommen haben. Kraft, Mut, Durchhaltevermögen, sich trotz widriger Umstände durchsetzen, und Hoffnung, dass es besser wird. Ich erinnere mich gut an Gespräche mit meinen Großeltern über die Kriegszeit. Sie sprachen über Manches nicht. Aber in einigen Erzählungen hörte ich gute  Erfahrungen heraus. Man half sich im Dorf, Lebensmittel wurden achtsam eingesetzt, Witwen und Waisen wurden von der Gemeinschaft unterstützt und Schutzsuchende versteckt. Und es gab kleine und große Heldentaten, die selbstverständlich waren. Trotz allen – eine Zeit in der es auch Hoffnung gab.

Ich hoffe sehr, das auch diese Wellen in meiner Generation angekommen sind und wir sie ebenso weitergeben können.