Freier Fall oder Klettern 2.0

Nun bin ich dem Klettern tatsächlich ganz und gar verfallen. Ich habe mit meinem Mann Ralf nach dem Schnupperkurs gleich den nächsten Kurs gebucht, der uns nach Beendigung berechtigt, alleine (also ohne Trainer) in der Halle zu klettern.

Für diesen 2 x 3 stündigen Kurs war Rafael unser Trainer. Er ist etwas älter als ich, einen Kopf kleiner und ist extrem “drahtig” … Also nicht muskelbepackt, aber man sieht, dass er sehr gut trainiert ist. Und er ist Mexikaner mit einen sehr netten Akzent. Zu Beginn erzählt er von seinen Klettertouren in den Anden (7000m) und vom Yosemite Park/USA (El Capitan, Dawn Wall – eine fast senkrechte, 1000m hohe Steilwand), an dem er 7 Tage (und Nächte!) “in der Wand” war….

Den Anspruch habe ich definitiv nicht, denn ich mache mir schon einen Knoten in die Arme, statt in das Sicherungsseil. Geduldig erklärt Rafael mir mehrfach, wie der “Achter” geht. Das ist eine doppelte acht im Seil, die dann in den Haltegurt eingeknotet wird. Die jeweiligen Sicherungspartner kontrollieren noch mal, was natürlich Sinn macht… Aber wer lässt sich schon gerne kontrollieren?

Eine Art “Abschlussprüfung” war es, dass man sich auf etwa 8 Meter Höhe loslässt und ins Seil fallen läßt!!! Derjenige, der sichert, wird (je nach Gewicht des Fallenden) mehr oder weniger empor gerissen. Derjenige, der loslässt, muss genau dieses tun – loslassen! Und da war ich an meinem Problem: loslassen, sich fallen lassen und darauf vertrauen, dass man aufgefangen wird. Mein Adrenalinspiegel schoss extrem nach oben und ich bezweifelte sehr stark, dass ich das schaffen würde. Mein Mann übrigens auch….

Er war der Erste, der es versuchte und er vertraute mir offensichtlich ausreichend und schaffte die Übung bravourös. Ich wollte es zumindestens versuchen und kletterte auf die entsprechende Höhe. “Noch ein Stück weiter, und dann lass einfach los, wenn du soweit bist”, gab Rafael von unten Hilfestellung. Er hatte offensichtlich schon im Vorfeld erkannt, dass es ein Problem für mich werden würde. Ich kletterte also noch zwei weiter “Stufen” nach oben, schloss die Augen und….. klammerte mich fest….

“Du kannst jetzt loslassen, wenn Du willst”, klang die Stimme von Rafael sehr empathisch zu mir herauf. “Ich will aber nicht!” dachte ich, öffnete die Augen schaute entsetzt auf meine Finger, die sich lösten und dann sauste mein geschundenes “Ich” im freien Fall einige Meter nach unten. Natürlich wurde ich mit einem heftigen Ruck aufgefangen und dann langsam von Ralf nach unten abgelassen. Mit wackeligen Knien und zitternden Händen landete ich doch etwas stolz auf dem Boden.

Eine Umarmung von Ralf und ein Schulterklopfen von Rafael…. “Beim Fallen begegnet man sich selbst,” fasste Rafael meine adrenalingetränkten Gefühle zusammen. Besser hätte ich es auch nicht sagen können!

Kletterkurs

Eigentlich war es ein Geburtstagsgeschenk für meinen Mann Ralf. Man kann aber den “Schnupperkurs” – der über 2 Stunden unter Anleitung erfahrener Trainer in einer Kleingruppe stattfindet – nur zu zweit buchen. Einer klettert, der andere sichert. Das Geburtstagsgeschenk war zugegebener Maßen auch ein bisschen Eigennutz…

Ich wollte so etwas schon immer versuchen, da es bei uns (Fränkische Schweiz) eine Vielzahl von Kletter-Möglichkeiten gibt und ab Frühjahr die schroffen Felsen der Jura voller bunter, meist jüngerer und sehr durchtrainierter Kletterer sind.

Wir kamen voller Enthusiasmus in der relativ neuen Kletterhalle des Alpenvereins an und wurden mit acht weiteren Personen, darunter drei übermotivierte Teenager, von drei Trainern begrüßt. Die extrem weichen Kletterschuhe und den kompliziert anzulegenden Haltegurt hatten alle schon irgendwie angezogen. Er wurde jedoch noch einmal von den Trainern kontrolliert und ggf. nachjustiert. Das fand ich schon mal sehr gut. Denn mir Kontrollfreak ist Sicherheit extrem wichtig. Ich überlebe ja schließlich nicht eine doofe Krebserkrankung, um dann an einer Leichtsinnigkeit zu sterben…

In der großen Halle kletterten schon jede Menge cooler Profis an den 35 Meter hohen Wände mit unterschiedlichen Schweregraden. Ich war beeindruckt. Wir Anfänger wurden in eine kleinere Halle mit einer Kletterhöhe von 10 Meter Höhe gebracht. Für einen kurzen Moment war ich enttäuscht, das sollte sich aber sehr schnell ändern….

Die beiden Trainerinnen und der Trainer erklärten uns als erstes die Haltevorrichtung für die Sicherung, wie man die Karabiner einhakt (gegenläufig, um doppelt zu sichern, falls sich einer löst), festschraubt und das Sicherungsgerät justiert. Wichtig ist auch, wie man die Sicherungsleine hält, bzw. zieht. Ringe und Uhren müssen natürlich abgelegt werden.

Ich sollte als Erstes klettern, schlug Ralf vor. Vorher findet ein “Partner-Check” statt. D.h. der Partner überprüft die Gurte und den richtigen Sitz und den Verschluss der Karabiner des Anderen. Sehr beruhigend. Die Schwierigkeitsgrade sind mit unterschiedlichen Farben der Griffe markiert. 3 ist einfach, 6+ das schwerste…. Ich startete mit einer 3+ und schaffte 3/4 des Wegs und bekam eine Panikattacke, weil ich nicht weiterkam. Ich kreischte “Zug” ( d.h. die Sicherung wird noch einmal stramm gezogen) und dann “ab”, ich musste mich loslassen, mit den Füßen von der Wand abstoßen und Ralf musste langsam die Sicherungsleine lösen. Man kann nicht runtersausen, da das Sicherungsgerät einen “Panikhebel” hat.

Unten angekommen war ich sehr erleichtert. Jetzt wurde gewechselt und ich musste sichern. Das birgt natürlich sehr viel Verantwortung und man muss seinen Partner vertrauen… Einer der Trainer stand neben mir, gab mir Tips und korrigierte meine Haltung der Hände am Sicherungsseil. Ralf schaffte den ersten Aufstieg besser als ich und kam locker oben an. Als er “ab” rief, löste ich die Sicherungsleine und er kam wohlbehalten unten an.

Wir wechselten wieder und gingen an den nächsten Schwierigkeitsgrad, den ich dieses Mal deutlich besser schaffte und sogar ziemlich zügig bis ganz oben kam. Hier erreichte mein Endorphin-Spiegel seinen ersten Höhepunkt. Wieder Wechsel. Ich musste sichern. Das finde ich sehr viel stressiger. Der Trainer, dessen Frau eine der anderen Trainerinnen war, erzählte uns, dass das auch eine Art “Paartherapie” sei, weil man sich gegenseitig vertrauen muss, dem anderen seine eigenen “Lösungswege” finden lassen muss und sich “fallen lassen” muss.

Das ist ja eh schwierig für mich Kontrollfreak, aber Ralf und ich harmonierten prima. Wir hatten richtig viel Spaß, lernten viel und kamen mit etwas Muskelkater in Armen und Beinen wieder zu Hause an… aber nicht ohne vorher den Folgekurs gebucht zu haben…

Pilates-Rolle

Manchmal sind die Dinge nicht das, was sie zu sein scheinen. Das Ding auf dem Bild ist zwar offiziell eine Pilates-Rolle., ich  benutze sie aber für Yogaübungen. Also ist sie eine Yoga-Rolle. Für mich. Für meinen Hund Rala ist es ein bedrohliches blaues Ungetüm. Sie mag sie nicht.

Das kenne ich gut. Ein Blick genügt und ich habe mir ein Urteil gebildet. Auf dem Hurricane hatte ich Gelegenheit viele Menschen (neu) kennenzulernen. Einige aus unserem Team sind schon – wie ich -  mehrere Jahren dabei. Andere kamen neu hinzu. Und obwohl wir uns nicht gut kannten, waren wir sehr schnell ein Team. Vertrautheit, Sympathie und Gruppendynamik spielen dabei sicher eine (Yoga-)Rolle… Damit meine ich eigentlich, dass es egal ist, “was” da wirkt, sondern es ist wichtig “das” es wirkt.

Wir hatten alle ganz gut zu tun. Auch oder besonders in der Nacht. Die Stimmung, der Alkohol- und Drogenkonsum steigt in der Dunkelheit. Ich betreute mehrere junge Frauen. Und in der Anonymität der Masse vertrauten sie mir Dinge aus ihrem Leben an, die mich mit Wucht trafen. Zack – und schon hatte ich eine Meinung dazu, ohne das ich es hätte steuern können. Dabei weiß ich natürlich gar nicht, ob die Geschichten wirklich so sind, wie sie erzählt wurden und ob die Sichtweise nicht etwas “vernebelt” war. Und selbst wenn sie so waren, wie es mir erzählt wurde, bin ich nicht berechtigt zu urteilen.

Im Moment höre ich sehr viele Geschichten, da ich an einem neuen Buchprojekt arbeite. Und verschiedene “Geschichtenerzähler” lassen mich gerade an bestimmten Aspekten ihres Lebens teilhaben. Ich empfinde das als großen Vertrauensvorschuss und als Geschenk. Was ich aus ihren Geschichten “mache” ist geprägt von meinen inneren Bildern. Ich kenne einige schon sehr gut, einige überhaut nicht. Als ich meine Geschichtenerzähler traf, waren sie oft nicht das, was sie in meinen Augen zu sein schienen. Ein Geschichtenerzähler begegnete mir im Rollstuhl und ich hielt ihn für schwach, da er sich kaum aus eigener Kraft bewegen konnte. Als er mir zur Begrüßung die Hand gab, drückte er stärker zu als ich erwartet hatte. Und als er zu erzählen begann, merkte ich, dass dieser Mann, trotz seiner für mich augenscheinlichen Schwäche, einer der stärksten Menschen war, die ich seit langen getroffen hatte.

Interessanterweise habe ich auch umgekehrte Erfahrungen machen dürfen, bzw. machen müssen, denn mir wurde manchmal eine Rolle zugeschrieben, die ich gar nicht inne hatte. Und es war nicht immer einfach aus dieser Rolle, die gar nicht meine war, wieder heraus zu kommen…

Fazit: “Rollen” können das eine oder das andere sein – entscheidend ist, was ich daraus mache…