Sachspenden

Es ist naßkalt an diesem Montagmorgen, als ich mit unserem Kombi voller prall gefüllter Kleidersäcken, Taschen, Kartons und Körben mit Spielsachen vor der ehemaligen Kaserne, die jetzt als Erstaufnahme-”Station” genutzt wird, ankomme.

Ich weigere mich über “Lager” zu sprechen/schreiben. Zu negativ besetzt ist dieser Begriff, sowohl historisch als auch emotional. Hat dieser Begriff für mich doch so gar nichts zu tun mit “Ankommen, Willkommen sein, Wärme und Zuwendung”!

Am Wochenende sind annähernd 100 Menschen mit Bussen von der deutsch-österreichischen Grenze wie geplant angekommen. Weitere 200 werden in den nächsten Tagen erwartet. Es war etwas Zeit, um sich vorzubereiten und Landkreis, Hilfsorganisationen und Freiwillig haben ganze Arbeit geleistet. Es gab Aufrufe, was an “Sachspenden” benötigt wird. Sachspenden für müde, traurige und geschundene Seelen.

Unwillkürlich durchsucht meine Familie alle Schränke nach brauchbarer Kleidung und natürlich findet sich jede Menge! Das Auto ist schnell voll. Als ich vor der Kaserne eintreffe, hält mich – wie offensichtlich schon viele andere – denn der Vorplatz ist voller Autos –  ein Mann von einem privaten Wachdienst auf. Wir dürfen das Gelände nicht betreten, die “Sachspenden” werden von einem LKW nach “innen” transportiert.

Schon leicht genervt frage ich den Wachmann, ob ich jemand “Offiziellen” sprechen kann, da ich wissen möchte, was an “Seelischer-Zuwendungs-Spende” gebraucht wird. Gleich stehen vier oder fünf andere Menschen an meiner Seiten und wollen ähnliche Fragen stellen. Es dauert eine geschlagene halbe Stunde, bis jemand “Offizielles” kommt, unsere Fragen sehr freundlich und dankbar beantwortet und gleich drei Leute zum Kleider sortieren mit nimmt. Die Übrigen und mich bittet die nette Dame, eine Mail zu schicken, mit den Qualifikationen die wir haben. Sie würde sich melden. Es sind Sozialarbeiter, Kinderpflegerinnen und psychologisch ausgebildete Helfer, die wohl eine Mail schreiben werden, entnehme ich den Gesprächen.

Während der Verhandlungen geht eine Gruppe von frierenden Flüchtlingen an uns vorbei. Sie haben ihre Kaputzen tief ins Gesicht gezogen und die Schultern sind ebenfalls hochgezogen. Ich blicke in freundlich lächelnde, aber verunsicherte Gesichter. Sie grüßen alle mit einem leisen “Hello” und sehen erfreut auf die “Sachspenden”. Ja, warme Kleidung wird offensichtlich dringend gebraucht.

Ich hoffe, dass bald auch “Seelen-Spenden” abgegeben werden können, die die neu angekommenen Menschen von innen wärmen…..

Spiritual Care

“Warum lässt Gott das zu?” Diese Frage wird Pflegenden oft gestellt, etwa vom jungen Mann, der bei einem Motorrad-Unfall beide Beine verloren hat. Vom Familienvater, der am Bett seiner sterbenden Frau sitzt und von der alten Dame, die jeden zweiten Tag zur Dialyse gefahren wird. Oder wir haben es uns selbst auch schon einmal gefragt, beispielsweise angesichts der Bilder von 9/11 oder angesichts der Tsunamiopfer in Südostasien.

Diese Frage ist so alt wie das Christentum und wird im theologischen Kontext als Theodiezeefrage bezeichnet. Der Begriff stammt von dem Philosophen Gottfried Wilhelm Leibnitz (1646-1716) und setzt sich aus den griechischen Wörtern “theos” (= Gott) und “dike” (=Gerechtigkeit) zusammen. Der Kern der Frage ist letztlich, wie sich die Existenz eines liebenden, guten Gottes mit der Existenz des Übels und des Bösen vereinbaren lässt.

Die Frage nach dem “Warum” bringt uns Pflegekräfte immer wieder in Erklärungs- und Rechtfertigungsnot. Denn wir haben keinen Wissensvorsprung, sind vielleicht ebenso auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sowie nach dem, was über den Tod hinausgeht – nach dem, was bleibt, in der Hoffnung auf Unsterblichkeit der Seele. Wenn wir Menschen in Krisen geraten, ist mit unserer eigenen Orientierung auch immer, aber oft unausgesprochen, die Dimension Glaube, Religion oder Spiritualität präsent.

In existenziellen Lebenskrisen oder Notsituationen sind es die Patienten, die auf der Suche nach Halt sind. Für uns Pflegende stellen sich aber die selben Fragen, denn wir gehen jeden Tag mit dem Leid um. Es berühret uns, wenn unser Gegenüber leidet. Oft finden Pflegekräfte und natürlich auch Patienten Halt und Stärke in ihrem Glauben oder ihrer Spiritualität.

Der Begriff “Spiritualität” leitet sich vom lateinischen Wort “spiritus” ab, was Luft, Hauch, aber auch Atem, Seele, Geist oder Begeisterung, Mut oder Sinn bedeutet. Das dazugehörige Verb  lautet “spiro”  und bezeichnet nicht nur wehen, hauchen, sondern auch atmen, leben, sowie erfüllt und beseelt sein. Die Lateiner sahen Spiritualität in engem Zusammenhang mit dem Atmen.

Die biblische Tradition hat einen ähnlichen Ansatz. “Ruach”, das hebräische Wort für Geist, steht auch für Atem, Wind und Begeisterung. Die Verbindung zwischen Geistigkeit und Atem findet man in vielen Meditationsformen und in der Atemtherapie wieder.

Das Medizinsystem lässt oft keine Zeit für Begegnungen.  Spiritualität ist Begegnung – mit sich selber, mit all unseren Fragen, mit Gott. Hoffnung ist ein wichtiger Teil der Spiritualität. Damit ist nicht immer die Hoffnung auf Heilung gemeint, vielleicht aber die Hoffnung auf Unsterblichkeit der Seele.

Krankheit und Gesundheit waren immer auch religiöse Themen. Die Frage nach der Schuld oder der Strafe kommt darin vor. Die Begriffe Heil, Heilung, heilig haben den selben Wortstamm. Im Christentum ist der Zusammenhang von Glaube und Heilung besonders deutlich:  Christus der Heiland und Arzt. Die vielen Heilungsgeschichten im neuen Testament sind auch der Grund, warum der christliche Glaube als therapeutische Religion verstanden wird.

Bei den meisten Menschen mit schweren Erkrankungen wird die Frage “Woran glaube ich?” irgendwann aufbrechen. In der Medizin wird Gesundheit und Heilung thematisiert, in der Theologie Heil/Heilung und Erlösung. Spätestens in den ganzheitlichen Pflegekonzepten ist deutlich geworden, dass Leib und Seele, Körper und Geist untrennbar verbunden sind….. Also seien wir auch in der Begegnung mit anderen Menschen “begeistert”.

(Der vollständigen Artikel “Auf der Suche nach Halt” ist in der aktuellen Ausgabe “Die Schwester Der Pfleger” 12/2013  erschienen.)

Seele in Not (Teil II)

Raumschiff Enterprise ist nichts gegen das Cockpit der Rettungsleitstelle, die wir im Rahmen des Notfallseelsorge-Kurses besuchten. Hier laufen alle Fäden zusammen. Hier beginnt schon die erste Hilfe – natürlich für den Körper, in dem Krankenwagen oder Feuerwehr los geschickt werden, aber auch erste Hilfe für die Seele. Der Koordinator oder Zugführer, wie es wohl heißt gibt schon erste Anweisungen über das Telefon. z.B. ein Krupp Kind vor eine offene Kühlschranktür zu halten, um eine Abschwellung der Bronchien zu erreichen. Sogar Anleitungen zur Reanimation werden über das Telefon gegeben. Und der Koordinator beruhigt die Menschen. Hilfe ist unterwegs!

Wie gut zu wissen, dass Hilfe kommt. Dass ich nicht allein gelassen werde und ich Unterstützung erhalte. Die Seele schreit, weil das Leben aus den Fugen gerät und plötzlich nichts mehr so ist, wie es war. Alles ist bedroht, alles gerät ins schwanken. Notfallseelsorger werden meistens über die Leitstelle dazu gerufen, wenn Unfälle passieren und Opfer, Zeugen oder Angehörige betreut werden müssen. Oder die Polizei nimmt einen Notfallseelsorger mit, wenn sie eine Todesnachricht überbringen müssen. Auch bei große Katastrophen werden Notfallseelsorger eingesetzt, wie bei dem ICE Unglück von Eschede, der Amoklauf in Winnenden, Brand- und Flutkatastrophen oder Flugzeugabstürze.

Wenn die Seele so in Not gerät, können Menschen ein bisschen Trost spenden, in dem sie einfach nur da sind. Es bedarf nicht immer vieler Worte. Manchmal gibt es eben keine Worte. Aber man kann auch gemeinsam schweigen. Das auszuhalten ist nicht so einfach. Und auch Helfer brauchen Hilfe. Nach jedem Einsatz besteht die Möglichkeit, das Erlebte zu besprechen, bzw. zu reflektieren. Auch das ist nicht einfach. Manches möchte man sicher einfach nur vergessen und die Bilder aus dem Kopf bekommen.

Seele in Not – die Ausbildung war sehr “dicht” um im Pastorensprech zu bleiben (denn es werden überwiegend Pastoren, die ja schon qua Amt dafür prädestiniert sind, ausgebildet). Eine der ersten Fragen des Referenten war: “Was trägt, was ist unser Anker in der Not?” Das ist wohl die alles entscheidende Frage. Dass wir in Not geraten, können wir nicht auschliessen -  dass wir Hilfe erfahren, menschliche und göttliche, dessen dürfen wir sicher sein!