Zwischen den Jahren

“Zwischen den Jahren oder zwischen den Zeiten” nennt man die Tage nach Weihnachten und vor Silvester. Tatsächlich ist es eine Zeit, wo wir zurück schauen. Es gibt jede Menge Jahresrückblicke im Fernsehn, Bilanzen werden erstellt und eine Auswertung der Ereignisse in Sport, Politik und Wirtschaft gemacht. Auch ich schaue zurück. War es ein gutes Jahr? Was ist gelungen? Wo war es schwer? Wann gab es gute Begegnungen? Ich ziehe meine persönliche Bilanz.

Aber auch der Blick nach vorne findet in dieser Zeit statt. Kalender werden verschenkt und aufgehängt, Urlaubspläne gemacht, Termine geplant und ganz wichtig – gute Vorsätze formuliert (die meistens doch nicht eingehalten werden). Man ist voller Hoffnung, dass nächstes Jahr alles besser wird, oder befürchtet, dass es noch schlimmer kommt –  je nach Persönlichkeitsstruktur.

Diese Tage haben einen besonderen Zauber. Der “Weihnachtsstress” ist vorbei und man treibt auf Silvester zu. Viele haben frei, aber es wirkt trotzdem nicht hektisch in der Stadt oder auf der Straße. Ich halte einen Plausch mit den Nachbarn, treffe mich mit einer Freundin zum Kaffee und bleibe einfach eine halbe Stunde länger am Mittagstisch sitzen um mit meiner Familie zu reden. Herrlich! So “zeitlos”.

Die Zeit zwischen den Jahren ist eine Zeit, die ich sehr mag. Sie bietet die Möglichkeit in alle Richtungen zu schauen, Dinge abzuschließen und Dinge neu zu beginnen. Ein neuer Anfang, aber mit Hintergrund. Das letzte Jahr nehme ich ja, auch wenn es abgeschlossen ist, irgendwie doch mit.

Manchmal möchten wir dennoch eine Zeitreise machen. Noch einmal jung sein. Noch einmal frisch verliebt sein. Noch einmal eine Entscheidung anders treffen. Wäre dann mein Leben nicht besser, aufregender, reicher, glücklicher? Nein, ich möchte nicht in der Zeit reisen. Weder in die Zukunft noch zurück. Es ist gut so wie es ist. Genau zu dieser Zeit. Zwischen den Jahren. Und es ist an mir das Beste daraus zu machen. Hier und jetzt.

Herbstspaziergang

Herbst ist eine germanische Bezeichnung der Jahreszeit zwischen Sommer und Winter (herbista). Das bedeutet auch Ernte oder Zeit der Früchte.

Ich finde den Herbst kann man hören. Die Blatter rauschen im Wind, Eicheln und Kastanien fallen herab, und es ist eine Zeit zwischen den Zeiten. Es wird irgendwie leiser in der Natur. Es riecht nach Abschied, die Stoppelfelder sind goldbraun und sogar schon ein bisschen darüber hinaus. Noch wärmt mich die Sonne, aber im Schatten ist es schon fast kalt und ich beeile mich wieder ins Licht zu kommen. Ich halte mein Gesicht in die wärmende Sonne und schließe die Augen und wünschte, ich könnte es speichern, so dass ich es in der dunklen Jahreszeit abrufen kann. Ich bemühe mich, nicht zu sehr die Abschiedsmelodie des Sommers zu hören, sondern das “Hier und Jetzt” zu genießen. Es fällt mir nicht leicht, weil ich weiß, dass mir die Wärme und das Licht fehlen werden.

Herbst, Erntezeit – Erntedank. Ein schönes Fest. Ich mochte es als Kind mit einem gefüllten Körbchen in die Kirche zu gehen und es auf den Altarstufen abzustellen. Die Früchte der Arbeit, die Ernte vor sich zu sehen ist doch etwas schönes. Sich darüber zu freuen, was man selber geleistet hat und dankbar sein, für das, was uns dazu geschenkt wurde. Sei es Regen und Sonnenschein, oder Kollegen aus unserem Team und unsere Talente.  Danke sagen, dass uns so viel gelungen ist und vielleicht teilen und abgeben, an die, denen nicht alles gelungen ist – die nicht so eine gute Ernte hatten.

Ein paar Blätter fallen vor mir herunter. Eines streift mein Haar. Ich musste in der Schule ein Herbstgedicht lernen, es fällt mir ein und ich freue mich, dass ich es noch auswendig kann:

Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten. Sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen, diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.

(Rainer Maria Rilke)

Ich drehe um, und mache mich auf den Weg nach Hause.