Blaue Stunde

…ist ein feststehender Begriff, der in der Poesie und in der Fotografie verwendet wird. Es ist die Zeit der Dämmerung zwischen Sonnenuntergang und nächtlicher Dunkelheit gemeint. Kontraste sind abgemildert, es erscheint alles weicher und stimmungsvolle Bilder können entstehen. Es ist eine Zeit des Übergangs – nicht mehr richtig hell und noch nicht ganz dunkel.

Ich persönlich mag solche “Halbheiten” eher nicht. Ganz oder gar nicht, schwarz oder weiß, hell oder dunkel. Herbst und Frühling sind ja ebenfalls Übergangszeiten zwischen den Jahreszeiten. Man sagt, in den Dämmerungsstunden sterben mehr Menschen. Meine Erfahrung aus dem Krankenhaus und aus der Altenpflege bestätigen das. Aber warum wohl? Fällt der Abschied in dieser Zeit leichter?

Aber zurück zur Fotografie: Ich habe ein bisschen recherchiert – es gibt einen “Dämmerungsrechner”, in dem man Standort bzw. Längen- und Breitengrad eingibt und dann die genaue “blaue Stunde” errechnet bekommt. Sie dauert aktuell genau 38 Minuten. Ende Dezember ist sie 42 Minuten lang. Eine begrenzte Zeit. Und der geneigte Fotograph muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein bei der Jagd auf das perfekte Bild.

Ich fotografiere nicht viel (außer ein paar “shots” für diesen Blog), weil ich den Moment lieber auf meiner persönlichen Festpatte speichere, als auf einem Datenträger. Trotzdem ist mir diese “Jagd” nicht ganz unbekannt. Ich habe auch nur eine begrenzte Zeit, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Nämlich genau dort, wo das Leben mich hinstellt. Manchmal gefällt mir die Perspektive nicht, oder der Standort ist zu wackelig, das Motiv einfach nicht gut und der Himmel “ungnädig”, weil es regnet.

Ich kann gehen, ein besseres Motiv suchen und den Standort wechseln. Aber es kostet mich Kraft und Zeit, die ich möglicherweise nicht habe. Also verwende ich die Energie doch lieber auf genau diesen Ort und dieses Motiv meines Lebens. Ein Motiv kann ein Gegenstand einer künstlerischen Darstellung sein, oder eben ein Beweggrund oder Antrieb. Wie passend! Ein Antrieb, auch mit Situationen, Zeiten und Gegebenheiten zurecht zu kommen, auch wenn die Zeit nur kurz und die äußeren Umstände nicht perfekt sind. Genau das machen wir Menschen doch jeden Tag. Bestenfalls haben wir Menschen an unserer Seite, die uns unterstützen. Manchmal nicht – aber dennoch sind wir nicht alleine!

Vielleicht ist die “blaue Stunde” doch nicht so schlecht, auch wenn es aus meiner Sicht eher eine Halbheit ist. Immerhin bietet sie uns die Möglichkeit die scharfen Kontraste (des Lebens) in einem milden, wohlwollenden und verzeihlichem Licht zu sehen, so wie Ingeborg Bachmann es in ihrem Gedicht beschreibt:

“Gesellig die Lampen im blauen Licht, bis der Raum mit der vagen Stunde bricht…”

Und weiter:

Vom hohen Trapez im Zirkuszelt spring ich durch den Feuerreifen der Welt, ich gebe mich in die Hand meines Herrn, und er schickt mir gnädig den Abendstern.” (Die blaue Stunde,  1957,von Ingeborg Bachmann)

Foto: Abbenfleeth, Ralf Kohröde