Langzeitbelichtung

… nennt man in der Fotographie eine Einstellung, die eine Belichtungszeit von mehreren Sekunden (bis mehreren Minuten) hat, um Bewegungsabläufe im technischen oder künstlerischen Bereich aufzuzeigen. Die Bilder zeigen einen Auschnitt der Zeit, den wir normalerweise nicht wahrnehmen können. Bewegungen werden dabei verwischt, sie zerfließen in der Zeit.

Jeder von uns kennt die Momente im Leben, indenen wir die Zeit anhalten wollen – den Moment bannen – und das möglichst lange. Ein romantischer Sonnenuntergang, eine besonders schöne Feier, der Applaus nach einem gut gehaltenen Vortrag, besondere Momente mit dem Partner oder der Familie.

Doch die schönen Momente sind flüchtig, wie der Duft einen Parfums. Und dennoch schwebt er lange in der Luft, oder wir erinnern uns, wenn ein ähnlicher Duft vorbei fliegt. Und die Erinnerung nimmt uns niemand. Wir können sie jederzeit abrufen und uns die Situation fast bildhaft vor Augen führen und schon geht es uns ein kleines bisschen besser.

Eine Langzeitbelichtung verwischt aber auch Dinge, bzw. Bewegungen. Das Licht eines vorbeifahrenden Autos, oder wie auf dem Foto das Wasser, das durch die Mühle geflossen ist.

Manche Bilder verwischen auch in unserer Wahrnehmung – vielleicht, weil es zu hektisch war oder ich mich nicht auf ein Detail fokussiert habe, oder eben das Gesamtbild unscharf war. Es hilft uns, wenn schlimme Ereignisse verwischt in Erinnerung bleiben und die schwierigen Zeiten nicht ganz so scharfe Konturen haben. Das macht es uns erträglicher mit Tatsachen zu leben, die wir so nicht haben wollten.

Langzeitbelichtungen werden immer mit einem Stativ gemacht, um das Motiv nicht zu verwackeln. Das Stativ fixiert die Kamera und gibt somit Sicherheit. Wie gut, wenn man einen festen Stand hat, wenn um einen herum alles zu wackeln und zu beben scheint. Aber so eine Stütze hält uns auch fest, begrenzt unsere eigene Bewegung und lässt uns keinen Freiraum. Wir sind gefangen in einer möglicherweise selbst gewählten “Statik”.

Bewegungen bannen und verwischen – das ist für eine Langzeitbelichtung nur mit einem Stativ möglich. Ich stellen mir gerade eine aufgebaute Kamera auf einem Stativ vor und finde es eine passende Metapher für mein Leben. Ich habe Stabilität und Sicherheit erfahren, nicht so schöne und schmerzhafte Ereignisse konnte ich durch eine “Langzeitbelichtung” verwischen, wann immer ich es möchte oder ich kann die besonders intensiven Momente meines bewegten Lebens bannen. Es liegt also immer an mir, welche Einstellung, bzw. Belichtungszeit ich für das Leben (und die Kamera) wähle.

Foto: Mühle, Ralf Kohröde

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