Barrierefreiheit

Ich hatte kürzlich wieder eine Vorlesung zu halten und ich wusste, es wird ein anstrengender Tag. Der Weg nach Hamburg war nervig, da die Autobahn voll und die Stadt mit Baustellen gespickt war.

Ich hatte etwa 20 Studierende, als nach gut zweit Unterrichtseinheiten ein Klopfen an der Tür eine willkommenen Unterbrechung bot. Ich ging hinaus und traf auf drei Frauen, die offensichtlich zu meiner Vorlesung wollten. Eigentlich nur eine Frau, denn die anderen beiden waren ihre “Simultan-Gebärdensprachendolmetscherinnen”.

Ich versuchte meine Irritation  bzw. Barriere im Kopf zu verbergen und organisierte weiter Stühle und setzte meine Vorlesung fort. Die Dolmetscherinnen saßen rechts vorne in meiner Nähe und aus den Augenwinkeln konnte ich ihre sehr schnellen Bewegungen sehen.

Ich verlor komplett den Faden, sagte das auch und unterbrach erneut. “Entschuldigung, ich bin gerade etwas aus dem Konzept gebracht. Ich muss erst einmal ein paar Fragen stellen, denn ich bin noch nie simultan übersetzt worden und schon gar nicht in Gebärdensprache. Wieso sind Sie überhaupt zu zweit?”, fragte ich etwas holperig. Die Erklärungen waren sehr freundlich und absolut logisch, denn es erfordert eine extrem hohe Konzentration, simultan zu übersetzen und so wird jede viertel Stunde gewechselt. Fachbegriffe, für die es keine Gebärde gibt, werden mit dem Gebärden-Alphabet übersetzt und englische Begriffe werden ins deutsche übersetzt und dann in eine Gebärde oder eben buchstabiert. Auch alle “äh’s” “öhm’s” und Sprechpausen werden übersetzt! Nach diesen Erläuterungen setzte ich die Vorlesung halbwegs konzentriert fort.

In der Pause suchte ich erneut den Kontakt zu der Studentin, die mich im Gespräch nicht ansehen konnte, weil ich ihr falsch gegenübergetreten bin und sie auf die Dolmetscherin achten musste. Ich bot ihr an, mit mir zu telefonieren, um versäumte Inhalte nach zu besprechen und hätte mich im selben Moment ohrfeigen können. “Ach…, äh.., nee…, Entschuldigung! Telefonieren geht ja nicht.”, holperte ich erneut. “Doch, doch,” erklärte die Dolmetscherin. Es werde dann einfach via Skype eine Dolmetscherin zwischen geschaltet. Ich war perplex… und schämte mich, weil ich so uninformiert war…! Mal wieder hatte ich in meinen eigenen Vorlesungen wahrscheinlich genau so viel gelernt, wie meine Studenten.

Über eine weitere Barriere las ich aktuell in einem hochinteressanten Buch von Thomas Galli “Die Schwere der Schuld”, in dem er einen faszinierenden, erschreckenden, ehrlichen und für mich absolut neuen Blick “hinter Gitter” erlaubt. Er beschreibt dort die Lebensgeschichten von Mördern, Gewalttätern, Entführern und Betrügern (ohne die eigentlichen Opfer aus den Augen zu verlieren!) die in Katastrophen gemündet und nicht abgeschlossen sind, auch wenn der Täter in Gewahrsam ist. Was für Strukturen in Gefängnissen herrschen, ist mir fremd. Ich war noch nie dort. Bestenfalls habe ich eine “Fantasie”, die aber sicher weit weg von der Realität ist.

Hinter Gittern zu sein, ist wohl eine der realsten Barrieren und sie zu überwinden ist nicht erlaubt und gewollt. Dennoch muss ich mich fragen ob es nicht auch andere Wege gibt, um vorab schon die (vermeintliche) Notwendigkeit von Barrieren/Gittern zu minimieren…

Fazit: Die größten Barrieren sind in meinem Kopf… Und es liegt an mir sie zu überwinden.