Generationen-Wellen

Samstagabend – Treffen mit Freunden zum Spargelessen. Unter viel Gelächter und Gequassel kommen wir im Restaurant an. Wir sehen uns zwar häufig und telefonieren untereinander oft, trotzdem geht uns der Gesprächsstoff nicht aus.

Irgendwie kommen wir auf Familiengeschichten unserer Eltern und Großeltern, Onkeln und Tanten. Kriegsgenerationen.  Geschichten von Väter und Söhnen, die sich durch den Krieg nie richtig kennen gelernt haben, Töchter, die dem damaligen Frauenbild entsprechend sozialisiert wurden, Ehen und Beziehungen, die in der damaligen Zeit nicht dem “guten Ruf” entsprachen oder nicht “standesgemäß” waren, traumatisierte Heimkehrer, starken Frauen, die alleine mit fünf Kindern ihr Leben organisieren mussten. Alpträume, Verlustängste, körperliche und seelische Verletzungen in den Familien und Erfahrungen, die an die Kinder und Kindeskinder weiter gegeben wurden oder bewusst tabuisiert oder verschwiegen wurden und erst Jahrzehnte später an die Oberfläche traten.

Jeder von uns Freunden konnte aus seiner Familiengeschichte dazu etwas erzählen, und uns wurde immer klarer, wie sehr wir selber noch von den weitergegebenen Erfahrungen und Traumen im weitesten Sinne geprägt sind. Und noch erschreckender, was auch wir immer noch an unsere Kinder davon weiter gegeben haben. Wie Wellen prägen Erkenntnisse, Erfahrungen und Erlebtes durch die Zeit hinweg unser Leben. Und von Dingen, die wir nicht selber erlebt haben, weil wir noch gar nicht geboren waren – wissen wir…! “Zelluläres/genetisches Wissen”, “frühkindliche Prägungen”, oder einfach nur die Summe des Erzählten?

Ich hatte ein Bild mit Wellen vor Augen, die entstehen, wenn wir einen Stein in eine Pfütze werfen. Meine Generation ist schon der zweite oder sogar dritte Kreis, den der Stein/Krieg erzeugt. Er wird schwächer, je weiter er vom Zentrum entfernt ist, aber die Erschütterung ist immer noch spürbar.

Im ersten Moment fand ich das ziemlich erschreckend. Aber es wurde uns in dem Gespräch klar, das wir natürlich auch positive Wellen abbekommen haben. Kraft, Mut, Durchhaltevermögen, sich trotz widriger Umstände durchsetzen, und Hoffnung, dass es besser wird. Ich erinnere mich gut an Gespräche mit meinen Großeltern über die Kriegszeit. Sie sprachen über Manches nicht. Aber in einigen Erzählungen hörte ich gute  Erfahrungen heraus. Man half sich im Dorf, Lebensmittel wurden achtsam eingesetzt, Witwen und Waisen wurden von der Gemeinschaft unterstützt und Schutzsuchende versteckt. Und es gab kleine und große Heldentaten, die selbstverständlich waren. Trotz allen – eine Zeit in der es auch Hoffnung gab.

Ich hoffe sehr, das auch diese Wellen in meiner Generation angekommen sind und wir sie ebenso weitergeben können.

Knöpfe

Ich bin nicht ganz sicher, welcher schlaue Mensch Knöpfe erfunden hat. Fest steht, er oder sie war ein Genie! Knöpfe gab es bereits in der Antike, die aber eher der Zierde dienten. Die dazugehörigen Löcher wurden in Deutschland erst im 13. Jahundert erfunden (aha – die Erfindung eines Lochs…) und führte zu einer neuen, enganliegende Modern (nochmal -aha!).

Druck-, Knebel-, Durchstech-, Kugel-, Posamenten-, Zwirn- und Lochknöpfe gilt es zu unterscheiden. Es scheint ein ganzes Universum an Knöpfen zu geben. Mir, als praktisch unbegabter Frau fehlten diese Kenntnisse bis heute.

Jeden Tag knöpfe ich meine Jacke auf oder zu, Schuhe, Taschen, Körbe, Kästen, Blusen, Hemde, Kissenbezüge und vieles mehr nutze ich ohne darüber nach zu denken. Spätestens, wenn es einem aus gesundheitlichen Gründen schwer fällt einen Knopf zu öffnen oder zu schließen, bemerkt man, wie nützlich dieser Geniestreich ist.

Das Desaster nimmt bei mir seinen Lauf, wenn ein solcher abreißt, wie heute morgen. In Eile, hektisch nach dem passenden Outfit suchend, griff ich eine meiner aktuellen Lieblingsblusen, warf sie über und im Treppe runterlaufen knöpfte ich sie zu. Ein leises metallisches Geräusch machte mich darauf aufmerksam, das mich auf der Treppe ein Gegenstand überholte. Ein Blusenknopf.

Mist! Ich wollte los und zwar genau mit dieser Bluse! Also suchte ich meine “Nähmaschine” , die aus einem bei einem Discounter erstandenen Set von Nadeln, Fäden, einer Schere, Einfädelhilfe (die nie funktioniert) und ähnlichen mir unbekannten Dingen besteht. Glücklicherweise hatte meine fürsorgende Mutter irgendwann einmal etwas für mich angenäht und dabei den Restfaden in dem sprichwörtlichen Nadelöhr belassen. Ansonsten wäre meine Mission, den Knopf hier und jetzt wieder anzunähen schon gescheitert. Ich habe nämlich überhaupt keine Geduld, um einen riesigen Faden in ein winziges Nadelöhr zu pfrimeln…

Da ich es besonders klug anfangen wollte – ich habe seit Jahren keinen Knopf mehr angenäht- nähte ich den (Kugel-)Knopf so fest an den Stoff, das ich mich fragen musst, ob dann wohl der Stoff noch dazwischen passen würde. Also zerrte ich die drei Stiche etwas lockerer und setzte etwa 25 weitere dazu, damit ich ja nie wieder diesen dusseligen Knopf annähen muss.

Ha! Geschafft! Stolz betrachte ich mein Werk, werfe die Bluse erneut über, schließe die oberen Knöpfe und frage mich total irritiert, wo sich denn jetzt “zumKuckuck” der eben von mir so genial angenähte Knopf befindet, denn ich erfühle und sehe nur eine gähnende Leere an der Stelle, wo eigentlich der Knopf hätte sein sollen. Nach hektischem herumfummeln entdecke ich ihn…. Zwar an der eigentlich richtigen Stelle, aber auf der linken Seite des Stoffes – also innen! Und eben so fest angenäht, dass er sich nicht ohne massive Gewalt abtrennen läßt….

Fazit: Ohne Worte

Sunglasses

Ich bin eigentlich kein großer Fan von Udo. Dennoch habe ich seine neue CD, die mein Mann gekauft hat, schon mehrfach im Auto gehört (gar nicht schlecht). Durch das kürzlich zu Ende gelesene Buch “Panikherz” habe ich natürlich auch einiges über ihn erfahren. Zum Beispiel, dass er einen sehr intensiven Blick hat und seine Mitmenschen schützt, indem er eben meistens eine Sonnenbrille trägt.

Das finde ich einen interessanten Aspekt.

Ich bin eigentlich auch kein großer Fan von Sonnenbrillen. Dennoch habe ich eine neue Sonnenbrille (mit Gleitsichtgläsern in meiner Sehschärfe), und ich habe sie schon mehrfach getragen. Allerdings nicht, um andere vor meinen Blicken zu schützen, wie Udo, sondern um mich – wie der Name schon sagt – vor der Sonne zu schützen. Was ich nicht bedacht hatte, war der Schutz vor den Blicken anderer…. Fühlte ich mich doch recht “unbeobachtet” von den Blicken meiner Mitmenschen. Niemand konnte sehen, wenn ich jemanden ungeniert anstarrte und betrachtete, was ja in unserer Hemisphäre als unhöflich gilt. Ich mache das aber schon ganz gerne…. Andere beobachten….

Die Sonne schien, also ein guter Grund die Sonenbrile aufzusetzen. Ich entdeckte sehr interessante Aspekte.

Gesten, Mimik, Berührungen, dass reden miteinander …. Oder das schweigen gegeneinander….

Und ich hatte das Gefühl, besser zuhören zu können, wenn ich meine Sonnenbrille auf gesetzt habe. Das ist natürlich Quatsch, ich weiß, aber wenn man sich selber nicht beobachte fühlt, kann man selber besser beobachten und somit auch besser/konzentrierter zuhören. Man könnte es auch lauschen nennen, was ja schon ein bisschen investigativ anmutet…

Ein wirklich schlechtes Gewissen hatte ich nicht. War ich mir doch relativ sicher, dass es andere Sonnebrillenträger ähnlich machten. Störend fand ich die Verdunkelung und die Verfälschung der Farben durch die Sonnenbrille. Die Buntheit meiner Umgebung und besonders der Menschen wurde von den getönten Gläsern gefiltert – meine Wahrnehmung eingeschränkt. Also “sah” ich meine beobachteten Dinge gar nicht im richtigen Licht?! Meine Eindrücke waren “gedämmt” oder gar verfälscht?!

Ich setzte meine Sonnenbrille wieder ab und die Farbexplosion lies mich heftig blinzeln. Ich sah von meinem Beobachtungsposten die ungefilterte Realität in all ihren farbenreichen Fassetten. Licht und Schatten, rot, gelb, blau, grün und alle Nuancen dazwischen. Wie schön bunt doch alles ist… und etwas leiser…