Zeit

…hatte ich die letzten Tage überhaupt nicht! Nicht zum schreiben, nicht für mich und schon gar nicht für das, was ich eigentlich machen wollte. “…as time goes by…”  sang schon der alte Sam in “Casablanca”. Kaum begonnen, ist der Tag schon zu Ende und man fragt sich, wo die Zeit geblieben ist.

Zeit ist eine physikalische Größe, oder nicht? Nun, sie ist wohl für uns Menschen weit mehr als das. Philosophisch betrachtet, ist sie das Fortschreiten der Gegenwart von der Vergangenheit kommend in die Zukunft. Das klingt logisch und einfach, finde ich. Allerdings: in welcher Dimension halte ich mich am meisten auf? Körperlich in der Gegenwart, aber gedanklich bin ich oft in der Zukunft… plane, mache mir Sorgen was wird, stecke mir Ziele und versuche vorausschauend zu agieren. Oder ich blicke zurück. In die Vergangenheit. Was war? Wie konnte ich diese Entscheidung treffen? Habe ich es richtig gemacht? Hätte, wäre, wenn…. Fragen die sich aus meiner Biographie ergeben, versuche ich zu analysieren und zu beantworten.

Wann tue ich das? Jetzt! In der Gegenwart! Was für ein Unfug! In der “Jetzt Zeit” bin ich gar nicht da, weil ich mich mit Vergangenheit und Zukunft beschäftige. Also: Ich hatte in den letzten Tagen keine Zeit? Doch, hatte ich! Ich hatte alle Zeit der Welt. Ich habe sie aber offensichtlich nicht so genutzt wie ich wollte, weil ich mit anderen Dingen beschäftigt war und schlimmer noch: Ich hatte diese Zeit nicht, weil ich in einer anderen Zeit unterwegs war (in meinem Fall in der Zukunft, weil ich mir Sorgen gemacht habe und mich mit planen beschäftigt habe).

Sind wir also doch Zeitreisende? Sieht so aus. Nur, was will ich dort? An der Vergangenheit kann ich nichts ändern und mit der Zukunft muss ich mich eh beschäftigen, wenn sie meine Gegenwart ist. Dann kann ich handeln.  In der Gegenwart bin ich oft nicht wirklich präsent. Es entgeht uns viel, weil wir gar nicht wahrnehmen, was im “hier und jetzt” alles wunderbares geschieht. Wir können die Zeit viel mehr genießen, wenn uns klar wird, dass wir diesen “Zeitlauf” nicht ändern können. Aus jeder Zukunft wird einmal Gegenwart und dann Vergangenheit. Ich finde das tröstlich, weil es so selbstverständlich ist. Denn egal wie schnell oder langsam die Zeit für mich vergeht, egal wie ich sie nutze: “…. Meine Zeit steht in deinen Händen….” (Songtext von Peter Strauch)

Staffellauf

Der Tag danach ist geprägt von Erleichterung  (natürlich nur bei guten Ergebnissen). Menschen wie ich müssen/dürfen alle paar Monate  (bei mir ist es noch relativ engmaschig, 2-3 Monate) zu Kontrolluntersuchungen. In meiner Klinik heißt es “staging”. Wikipedia definiert es: “… als Teil der Diagnostik, der der Feststellung des Ausbreitungsgrades eines bösartigen Tumores dient. Sie wird zur Basis für die Entscheidung, zu welcher Therapie dem Patienten geraten wird.”

Ich würde es eher “Staffellauf” nennen. Man hat ein Ziel vor Augen, muss aber dazu verschiedene Positionen erreichen. Anders als beim richtigen Staffellauf gibt man den Stab allerdings nicht weiter, sondern trägt ihn selber durch alle Stationen. Bei mir sind es 6 Stationen: CT, MRT, Sono, Befundgespräch mit dem Radiologen, Labor und Abschlussgespräch mit dem Onkologen.

Das Schlimmste sind eigentlich noch nicht einmal die Untersuchungen an sich. Daran “gewöhnt” man sich mit der Zeit. OK – toll ist es nicht, Kontrastmittel gespritzt zu bekommen und in dem wummernden MRT zu liegen, ohne sich bewegen zu können und dürfen. Auch das reichlich aufgetragenen Gel für die Sonographie ist ekelig. Ich mache immer die Augen zu, spreche ein Gebet und stelle mir die Hochries (mein Lieblingsberg im Chiemgau) bildlich vor. Die meisten MTA´s sind nett und kompetent, haben aber nicht viel Zeit für ein beruhigendes Gespräch oder wenigstens einen einfühlsamen Satz. Naja, viel reden will ich aber eigentlich auch nicht. Ich möchte nur da durch!

Das Schlimmste sind eigentlich die Wartezimmer, bzw. die Warterei. Also, Wartezimmer sind es ja sowieso schon mal nicht, sondern eigentlich nur Stühle auf dem Flur. Es zieht, ist kalt, hektisch laufen Leute mit den sprichwörtlichen “wehenden Kitteln” vorbei und die Stühle sind eine Zumutung für Jeden! Kalt, hart, unbequem und orthopädisch eine Katastrophe (von Design ganz abgesehen, was aber ja auch eigentlich keine Rolle spielt).

Und wieso “Wartezimmer”? Ich will nicht warten! Ich verbringe sowieso schon viel Lebenszeit bei Ärzten. Und ich habe doch einen Termin! Worauf warte ich also? Gut – es kann Verschiebungen geben, ein Notfall kommt dazwischen – sehe ich alles ein. Aber aus für mich nicht erkennbaren Gründen dauert es unnötig lange, bis ich endlich zur nächsten Station in meinem ganz persönlichen Staffellauf “darf”. Ach ja, absolut kontraproduktiv sind auch “Wartezimmer-Gespräche”. Ich finde die gehören verboten. Erstaunlich, was Menschen/Patienten für ein unfassbares Halbwissen an medizinischen Kenntnissen haben! Und gerne auch Narben, Verbände oder Wunden zeigen – Jedem! Ob man sie sehen will oder nicht! Natürlich reichlich garniert mit der entsprechenden Krankengeschichte und katastrophalen Unsachlichkeiten und verworrener Kenntnis von medizinischen Zusammenhängen. Ich will das nicht hören! Ich versuche gerade meine eigene Stabilität zu behalten und habe keine Kraft, interessiert und mitfühlend zu sein. Nicht jetzt, nicht an so einem Tag. Sonst gerne. Auch die Umstrukturierungsmaßnahmen und Verbesserungsvorschläge zu einer vernünftigen Organisation und Verkürzung von Wartezeiten von wohlmeinenden Patienten interessieren mich nicht, obwohl ich auch einiges beizutragen hätte….

Das Gespräch mit der Radiologin ist ok. Sie ist sachlich und formuliert einfühlsam. Ich habe das Gefühl sie spricht mit mir und nicht mit einer DRG.  Nächste Station: Labor. Hurra, die Braunüle liegt noch gut und ich muss nicht ein weiteres Mal gestochen werden. Eigentlich eine Kleinigkeit, trotzdem freut es mich. Letzte Station: Abschlussgespräch mit dem Onkologen. Diesmal gibt es ein richtiges Wartezimmer – und es ist knallvoll. Wieder Krankengeschichten. Und Lobeshymnen über den Onkologen. Ich könnte einstimmen, denn sie sind berechtigt. Aber ich halte meinen Mund, versuche meine Ohren zu verschließen und schaue aus dem Fenster. Ich bin müde. Ich laufe, bzw. sitze diesen heutigen Staffellauf seit 5 Stunden plus eine Stunde Anfahrtsweg.

Das Gespräch mit dem Onkologen ist sehr gut. Gute Nachrichten und er fragt nach meinen flankierenden Maßnahmen auf meinem Heilungsweg. Er sieht Körper und Seele und das tut gut!

Die Abschlussstation des Staffellaufs ist dann nicht etwa die Siegerehrung, sondern die Neuanmeldung…. in drei Monaten geht es wieder an den Start.

Seele in Not (Teil II)

Raumschiff Enterprise ist nichts gegen das Cockpit der Rettungsleitstelle, die wir im Rahmen des Notfallseelsorge-Kurses besuchten. Hier laufen alle Fäden zusammen. Hier beginnt schon die erste Hilfe – natürlich für den Körper, in dem Krankenwagen oder Feuerwehr los geschickt werden, aber auch erste Hilfe für die Seele. Der Koordinator oder Zugführer, wie es wohl heißt gibt schon erste Anweisungen über das Telefon. z.B. ein Krupp Kind vor eine offene Kühlschranktür zu halten, um eine Abschwellung der Bronchien zu erreichen. Sogar Anleitungen zur Reanimation werden über das Telefon gegeben. Und der Koordinator beruhigt die Menschen. Hilfe ist unterwegs!

Wie gut zu wissen, dass Hilfe kommt. Dass ich nicht allein gelassen werde und ich Unterstützung erhalte. Die Seele schreit, weil das Leben aus den Fugen gerät und plötzlich nichts mehr so ist, wie es war. Alles ist bedroht, alles gerät ins schwanken. Notfallseelsorger werden meistens über die Leitstelle dazu gerufen, wenn Unfälle passieren und Opfer, Zeugen oder Angehörige betreut werden müssen. Oder die Polizei nimmt einen Notfallseelsorger mit, wenn sie eine Todesnachricht überbringen müssen. Auch bei große Katastrophen werden Notfallseelsorger eingesetzt, wie bei dem ICE Unglück von Eschede, der Amoklauf in Winnenden, Brand- und Flutkatastrophen oder Flugzeugabstürze.

Wenn die Seele so in Not gerät, können Menschen ein bisschen Trost spenden, in dem sie einfach nur da sind. Es bedarf nicht immer vieler Worte. Manchmal gibt es eben keine Worte. Aber man kann auch gemeinsam schweigen. Das auszuhalten ist nicht so einfach. Und auch Helfer brauchen Hilfe. Nach jedem Einsatz besteht die Möglichkeit, das Erlebte zu besprechen, bzw. zu reflektieren. Auch das ist nicht einfach. Manches möchte man sicher einfach nur vergessen und die Bilder aus dem Kopf bekommen.

Seele in Not – die Ausbildung war sehr “dicht” um im Pastorensprech zu bleiben (denn es werden überwiegend Pastoren, die ja schon qua Amt dafür prädestiniert sind, ausgebildet). Eine der ersten Fragen des Referenten war: “Was trägt, was ist unser Anker in der Not?” Das ist wohl die alles entscheidende Frage. Dass wir in Not geraten, können wir nicht auschliessen -  dass wir Hilfe erfahren, menschliche und göttliche, dessen dürfen wir sicher sein!