Geben und Nehmen

…heißt ein neues Buch des amerikanischen Organisationspsychologen Adam Grant. Er hat als Organisationspsychologe drei Kategorien von Menschen benannt – Geber, Nehmer und Tauscher. Geber sind eher altruistisch veranlagt und geben, ohne dafür etwas zu erwarten. Nehmer sind die “harten Hunde”, die auf ihren Vorteil bedacht sind und Tauscher streben nach einem ausgewogenem Gleichgewicht (oft in der Arbeitswelt zu finden).

Gleich zu Beginn stellt er die zentrale Frage über die Begegnung (Interaktion) mit Menschen:

“Versuchen wir, so viel wie möglich für uns herauszuholen, oder investieren wir, ohne uns Gedanken darüber zu machen, was wir dafür bekommen? (Grant, A. 2013: Geben und Nehmen, S.13)

Eine interessante Option, die sich hier durch die Frage auftut. Kann ich einfach ich sein, wenn ich anderen begegne oder muss ich immer versuchen mich möglichst gut zu “verkaufen” um etwas (Beachtung, Anerkennung usw.) zu erhalten? “Geben” geht mit verwandten Wörtern einher, so z.B. das lat. habere: halten, haben, besitzen. Dazu gehört auch das lat. habitus: Haltung, Aussehen, Kleidung.

Wie ist meine Haltung gegenüber Anderen? Wer wie ich lange in einer Managementfunktion gearbeitet hat weiß, dass man es nicht allen recht machen kann. Man hat einen Chef, eine Geschäftsführung oder Aufsichtsrat über sich und Kollegen und Mitarbeiter um sich. Unpopuläre Entscheidungen zu treffen ist an der Tagesordnung. Das verlangt das “Geschäft”. Aber selbstlos zu geben – das kommt nicht so oft vor. Viele schützen ihre Zeit, hüten ihr Wissen und gehen mit Kontakten sparsam um. Und dennoch begegnen uns Menschen (auch im Job), die uns ungefragt helfen, sich immer bereit finden zusätzliche Aufgaben zu übernehmen (ohne sich damit profilieren zu wollen) um die Weihnachtsfeier zu organisieren, sich für neue Mitarbeiter ein Begrüßungsritual zu überlegen oder seine eigene Belange zurückstellen, um der Sekretärin beim Eintüten von Infobroschüren zu helfen.

Sind das einfach “Gut-Menschen”?  Altruisten? Oder sind sie einfach zu dumm, ihre Ellenbogen auszufahren um voranzukommen? Warum opfern viele, viele Menschen Stunden um Stunden ihrer kostbaren Zeit um ehrenamtlich als Fluthelfer, in der Hospizarbeit oder in der Freiwilligen Feuerwehr mit zu helfen? Sicher – man hat eine Aufgabe, findet Gemeinschaft und Gleichgesinnte, aber dennoch investiert man viel. Oft gibt es nicht mal ein “Danke schön” und schon gar kein Geld oder Ruhm und Ehre.

Wo wären wir, wenn es nicht geschätzte 12 Mio. Menschen gäbe, die sich ehrenamtlich engagieren? So viele Menschen, die geben. Aber es dürften gerne noch viel mehr sein!

 

Spieglein, Spieglein an der Wand…

Mein Spiegelbild und ich – innen und außen – gleich und doch anders. Spiegel kommt von dem lateinischen “speculum”, was Abbild und “specere” sehen, bedeutet.  Ein sehr symbolhafter Gegenstand. Er gilt als Zeichen der Eitelkeit, aber auch als Zeichen der Selbsterkenntnis, Klugheit und Wahrheit und findet sich in vielen Sprichworten wieder.

Damit ein Spiegel das tut was er soll, muss er zu einem gewissen Maß transparent sein,  durchsichtig für jedermann – möchte ich das? Wohl eher nicht. Sich selber sehen (und erkennen), dazu gehört Mut, denn es sind ja nicht nur positive Dinge im Spiegelbild zu sehen. Wie sagte schon Aldous Huxley: “Nichts bewahrt uns so gründlich vor Illusionen wie ein Blick in den Spiegel.”

Manchmal schaue ich in den Spiegel und sehe nicht mein Gesicht, sondern Züge meiner Eltern und auch die meines Sohnes. Jeder Mensch ist einzigartig und doch finden wir uns in anderen wieder. Äußerlich, aber auch von Charakter her. Ich weiss ganz genau welche Eigenschaften in meinen Genen stecken, welche Eigenschaften ich erlernt habe und welche ich weitergegeben habe. Das ist manchmal schmerzlich, manchmal lustig aber eigentlich auch sehr schön. Etwas weitergeben, etwas hinterlassen. Ist es nicht das, was uns “sein” lässt? Möchten wir nicht alle, dass wir in Erinnerung bleiben, entweder im kollektiven Gedächtnis des Genpools und/oder in der individuellen Erinnerung von Familie und Freunden?

Mein Spiegelbild ist vergänglich. Jeden Morgen entdecke ich mindestens ein neues Fältchen und ein paar graue Haare mehr. Ein Hinweis auf das Altern und ein Hinweis, dass ich wieder an (Lebens-)Erfahrung hinzugewonnen habe. Es stört mich nicht mehr, auch wenn die Cremetuben in meinem Spiegelschrank mehr und teurer werden. Das Gesicht im Spiegel – das bin ich und doch nicht ich. Wir haben diverse Möglichkeiten ein bisschen nachzuhelfen. Ich kann die müden Schatten unter meinen Augen abtönen, ein bisschen Rouge auflegen und schon sehe ich frischer aus. Die Augen etwas betonen und ich wirke wacher und ein bisschen Lippenstift und fertig ist die Fassade. Das ist das, was wir gerne präsentieren. Äußerlichkeiten und ein perfektes (Ab)Bild dessen, was wir gerne sein würden, aber nicht immer sind. Und es bleibt die ewige Frage: Was sehen wir eigentlich im Spiegel?

Ein kleiner  Junge überlegte mit seinem Stofftieger eine ähnlich philosophische Hypothese: “Hast du dir je die Frage gestellt, ob dein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche real und du nur eine Reflektion von ihm bist?” (Calvin, in Watterson, Bill ”Calvin und Hobbs”).

Schweden – Abba schön

The winner takes it all, Dancing Queen, Honey Honey, SOS, Super Trouper. Wer wie ich seine Teenie – und Partyzeit in den 80zigern hatte, kann diese Lieder noch immer auswendig. tatsächlich komme ich nicht umhin, diese Lieder zu summen, als ich an der Küste oberhalb von Göteborg entlang fahre um die Schären zu erreichen. Orust und Tjörn sind die Ziele. Schären sind kleine Inseln, die in der Eiszeit entstanden sind und vom Eis abgeschliffen wurden. Sie können wenige Quadratmeter bis zu einigen Quadratkilometern groß sein. Orust ist z.B. die drittgrößte Insel von Schweden und 345 km² gross.

Der Himmel ist bedeckt als ich mit dem Auto über die Brücke nach Tjörn fahre. Die Insel erst einmal liegenlassen, so lautetet eine Empfehlung von Freunden, die schon mehrfach da waren. Allein die Fahrt durch das Inselinnere ist spektakulär. Gefühlt ist es sehr gebirgig, aber das Navi zeigt nur Höhen bis 150 m über NN an. Die Felsen sind alle sehr glatt und es ist karg. Keine Bäume oder Sträucher nur gelbe Flechten klammern sich an die grauen, leicht marmorierten Steine. Überhaupt wirkt alles sehr farblos und etwas schummerig, was aber an dem fahlen Licht liegt. Als die Sonne etwas später durch die Wolken bricht explodieren die Farben. Der kleine Ort an der Küstenseite hat viele entzückende weiße, rote und blaue Holzhäuser. In der “Oberstadt” stehen überwiegend weiße, moderne Häuser, die mit schwerem Gerät in die Felsen gebaut wurden. Scheint eine Preisfrage zu sein, wo man hier wohnt.

Ich gehe Richtung Hafen und sehe einen Leuchtturm, zu dem man über die Felsen laufen kann. Ich bleibe auf der Hälfte des Weges stehen, finde einen “bequemen” Felsen und lasse die Kulisse auf mich wirken. Immer wieder fahren kleine Fischerboote raus, Möwen kreischen und es ist keine Menschenseele zu sehen. Der Himmel reißt immer weiter auf und es ist angenehm warm, da auch kaum Wind weht. Ich merke, dass mein Herzschlag langsamer wird. In mir kehrt Ruhe ein. Selbst die Abba Melodien verstummen. Ich spreche ein Gebet und bleibe eine ganze Weile an diesem Ort sitzen.

Irgendwann bekomme ich Hunger und mache mich auf die Suche nach einem Kiosk oder Café. Es gibt einige am Hafenbecken, aber die haben alle zu. Es ist Wintersaison. Ein älterer Mann mit blonden Locken, die unter einer blauen Strickmütze hervor schauen, spricht mich auf Schwedisch an, als er von einem Segelboot herauf klettert. Er hält mich offensichtlich für eine Schwedin. Auf Englisch erzählt er, das nur 150 Menschen im Winter hier sind. In den Sommermonaten kommen die Stockholmer und Göteborger Besitzer der schicken Häuser, die so ab 500000€ kosten. Mein Traum von einer kleinen Hütte auf Orust zerplatzt. Ich beneide ihn um sein Segelboot, aber er winkt ab und sagt, dass er eigentlich viel lieber mit seiner Harley auf Orust unterwegs ist. Ich muss schmunzeln – habe ich es doch gewusst! Er gibt mir noch einen Tipp wo evtl. ein ICA (schwedischer Lebensmittelladen) offen ist und wünscht mir einen schönen Aufenthalt. Mir kommen die Menschen hier irgendwie freundlicher vor, aber das mag auch an meiner positiveren Grundstimmung liegen.

Ich finde den offenen Laden. Dort gibt es alles, was man zum Überleben braucht. Zeitgleich höre ich Kirchenglocken und erinnere mich, dass ich einen Kirchturm gesehen habe. Schnell treffe ich auf eine relativ große, aus hellen Steinen gemauerte Kirche. Unterhalb der etwa 20 Stufen stehen 2 rote Rollatoren und ich frage mich, wie deren Besitzer in die Kirche gekommen sind, da es weder Rampe noch einen anderen Eingang gibt. Ich werde dieses Rätsel nicht lösen und trete in die helle freundliche und lichtdurchflutete Kirche ein. Eine Frau mit einer Kaffeekanne spricht mich wieder auf Schwedisch an und ich frage auf Englisch, ob ich für einen kleinen Moment in die Kirche schauen darf. Sie lacht und nickt. Es riecht verführerisch nach Kaffee und Kuchen und in einem durch Glas abgetrennten Raum sehe ich eine gedeckte Kaffeetafel, mit lachenden, blonden Menschen aller Generationen.

Ich bin überrascht, dass hier im Vorraum der Kirche offensichtlich ein Familiengeburtstag stattfindet und habe nur einen kurzen Blick für das Innere der Kirche. Eigentlich interessiert mich sonst immer die Kirchenkunst, aber irgendwie zieht es mich wieder an den Eingang, bzw. in den Vorraum, der mit einer hellen Küchenzeile ausgestattet ist, zurück. Ich muss an das Abendmahl Bild von Leonardo da Vinci denken, an die vertrauensvolle Gemeinschaft und die Verbundenheit. Das erkenne ich in der Szenerie hier im Vorraum der Kirche auch und freue mich einen Herzschlag lang mit einbezogen zu sein, denn Einige nicken mir freundlich zu. Dann fühle ich mich wie ein Eindringling und gehe schnell hinnaus. Ich will nicht stören.  Eine Familie zu haben ist toll. Ich denke an meine und habe wieder Abba im Ohr:…the winner takes it all…