Pokémon GO

Im Moment gibt es wirklich sehr wichtige Themen – in den Medien hagelt es Katastrophen: Nachrichten von Krieg, Vertreibung und Terror, der verrückte US-Wahlkampf und Olympia…. Und zeitgleich sind viele Menschen – junge wie alte – auf der Jagd…. So wie ich.

Wenn irgendwo am Horizont ein neuer “Hype” auftaucht, bin ich sicher dabei. Solche Dinge begeistern mich sofort und ich muss es ausprobieren… weil ich mir meine eigene Meinung bilden möchten. Und das kann ich nur, wenn ich selber Erfahrungen sammle. Binnen kürzester Zeit habe ich die App für “Pokemon GO” heruntergeladen und ärgere mich, dass ich mich wegen Serverüberlastung nicht gleich einloggen kann. Ein paar Stunden später klappt es und ich darf als erstes meinen Avatar erstellen. Das finde ich schon mal sehr gut, da ich zwischen verschiedenen Outfits wählen kann.

Mein Sohn hat vor fast 15 Jahren schon Pokemon (ich nenne sie in der Mehrzahl ” Pokemänner”) gesammelt. Allerdings als Papierkarten. Und auf einem Nintendo. Und als Figuren und was weiß ich, was es noch so alles gab. Jedenfalls wurden Stunden mit sortieren, sammeln und spielen mit anderen Pokemon-infizierten Kumpeln verbracht. Ich habe das Spiel schon damals nicht verstanden, wusste aber, dass man die “Pokemänner” weiterentwickeln kann.

Nun sehe ich in der Stadt viele Menschen, die gebannt auf ihr Handy starren, herumlaufen und mit ihren Kumpeln “Pokemänner” jagen und augenscheinlich Spaß an der frischen Luft mit viel Bewegung (man mus zwei Kilometer laufen um ein Poke-Ei auszubrüten) haben. Daran kann ich nichts Schlimmes finden…. Allerdings wurden ich und mein Hund schon mehrfach umgelaufen, da der Blickwinkel sehr eingeschränkt ist, wenn man auf sein Handy starrt… Ärgerlich!

Ich bin mir sehr deutlich bewusst, dass ich viel Zeit mit “unnützem” Kram verbringe; Internet-Daddelei, “Social media”, Fernsehen gucken mit amerikanischen (Krankenhaus)-Serien und durch Schuhläden bummeln. Aber das ist auch ein Teil meines Alltags. Und was heißt schon unnütz? Es ist eben meine Zeit und dafür muss ich mich vorläufig nur vor mir selber rechtfertigen. Ich erwähne sehr oft, dass ich von “Begegnungen” partizipiere. Und wenn es eben über soziale Netzwerke ist oder im Schuhgeschäft, so hat vielleicht auch das seine Berechtigung. Und wenn man gemeinsam mit Freunden virtuellen Wesen hinterherjagt, ist das doch auch eine Form von Begegnung. Es muss ja nicht für jeden passen… Ich hatte kürzlich jedenfalls einen nette Begegnung wegen der “Pokemänner”, weil ich mir auf Grund der Abwesenheit meines Sohnes von ein paar anderen coolen Jugendlichen erklären lassen habe, wie das mit der “Poke-Arena” geht. Und sie waren sichtlich amüsiert, dass ich mich damit beschäftige, halfen aber bereitwillig (vielleicht haben sie auch Müter, die auf der Jagd sind…). Jedenfalls war es eine nette Begegnung mit den gut gelaunten jungen Menschen.

Fazit: Zeit ist sehr kostbar. Aber wie wir sie nutzen bleibt uns überlassen und manchmal entsteht auch aus vermeintlich “verschwendeter” Zeit eine besonder Begegnung….

Pilates-Rolle

Manchmal sind die Dinge nicht das, was sie zu sein scheinen. Das Ding auf dem Bild ist zwar offiziell eine Pilates-Rolle., ich  benutze sie aber für Yogaübungen. Also ist sie eine Yoga-Rolle. Für mich. Für meinen Hund Rala ist es ein bedrohliches blaues Ungetüm. Sie mag sie nicht.

Das kenne ich gut. Ein Blick genügt und ich habe mir ein Urteil gebildet. Auf dem Hurricane hatte ich Gelegenheit viele Menschen (neu) kennenzulernen. Einige aus unserem Team sind schon – wie ich -  mehrere Jahren dabei. Andere kamen neu hinzu. Und obwohl wir uns nicht gut kannten, waren wir sehr schnell ein Team. Vertrautheit, Sympathie und Gruppendynamik spielen dabei sicher eine (Yoga-)Rolle… Damit meine ich eigentlich, dass es egal ist, “was” da wirkt, sondern es ist wichtig “das” es wirkt.

Wir hatten alle ganz gut zu tun. Auch oder besonders in der Nacht. Die Stimmung, der Alkohol- und Drogenkonsum steigt in der Dunkelheit. Ich betreute mehrere junge Frauen. Und in der Anonymität der Masse vertrauten sie mir Dinge aus ihrem Leben an, die mich mit Wucht trafen. Zack – und schon hatte ich eine Meinung dazu, ohne das ich es hätte steuern können. Dabei weiß ich natürlich gar nicht, ob die Geschichten wirklich so sind, wie sie erzählt wurden und ob die Sichtweise nicht etwas “vernebelt” war. Und selbst wenn sie so waren, wie es mir erzählt wurde, bin ich nicht berechtigt zu urteilen.

Im Moment höre ich sehr viele Geschichten, da ich an einem neuen Buchprojekt arbeite. Und verschiedene “Geschichtenerzähler” lassen mich gerade an bestimmten Aspekten ihres Lebens teilhaben. Ich empfinde das als großen Vertrauensvorschuss und als Geschenk. Was ich aus ihren Geschichten “mache” ist geprägt von meinen inneren Bildern. Ich kenne einige schon sehr gut, einige überhaut nicht. Als ich meine Geschichtenerzähler traf, waren sie oft nicht das, was sie in meinen Augen zu sein schienen. Ein Geschichtenerzähler begegnete mir im Rollstuhl und ich hielt ihn für schwach, da er sich kaum aus eigener Kraft bewegen konnte. Als er mir zur Begrüßung die Hand gab, drückte er stärker zu als ich erwartet hatte. Und als er zu erzählen begann, merkte ich, dass dieser Mann, trotz seiner für mich augenscheinlichen Schwäche, einer der stärksten Menschen war, die ich seit langen getroffen hatte.

Interessanterweise habe ich auch umgekehrte Erfahrungen machen dürfen, bzw. machen müssen, denn mir wurde manchmal eine Rolle zugeschrieben, die ich gar nicht inne hatte. Und es war nicht immer einfach aus dieser Rolle, die gar nicht meine war, wieder heraus zu kommen…

Fazit: “Rollen” können das eine oder das andere sein – entscheidend ist, was ich daraus mache…

Generationen-Wellen

Samstagabend – Treffen mit Freunden zum Spargelessen. Unter viel Gelächter und Gequassel kommen wir im Restaurant an. Wir sehen uns zwar häufig und telefonieren untereinander oft, trotzdem geht uns der Gesprächsstoff nicht aus.

Irgendwie kommen wir auf Familiengeschichten unserer Eltern und Großeltern, Onkeln und Tanten. Kriegsgenerationen.  Geschichten von Väter und Söhnen, die sich durch den Krieg nie richtig kennen gelernt haben, Töchter, die dem damaligen Frauenbild entsprechend sozialisiert wurden, Ehen und Beziehungen, die in der damaligen Zeit nicht dem “guten Ruf” entsprachen oder nicht “standesgemäß” waren, traumatisierte Heimkehrer, starken Frauen, die alleine mit fünf Kindern ihr Leben organisieren mussten. Alpträume, Verlustängste, körperliche und seelische Verletzungen in den Familien und Erfahrungen, die an die Kinder und Kindeskinder weiter gegeben wurden oder bewusst tabuisiert oder verschwiegen wurden und erst Jahrzehnte später an die Oberfläche traten.

Jeder von uns Freunden konnte aus seiner Familiengeschichte dazu etwas erzählen, und uns wurde immer klarer, wie sehr wir selber noch von den weitergegebenen Erfahrungen und Traumen im weitesten Sinne geprägt sind. Und noch erschreckender, was auch wir immer noch an unsere Kinder davon weiter gegeben haben. Wie Wellen prägen Erkenntnisse, Erfahrungen und Erlebtes durch die Zeit hinweg unser Leben. Und von Dingen, die wir nicht selber erlebt haben, weil wir noch gar nicht geboren waren – wissen wir…! “Zelluläres/genetisches Wissen”, “frühkindliche Prägungen”, oder einfach nur die Summe des Erzählten?

Ich hatte ein Bild mit Wellen vor Augen, die entstehen, wenn wir einen Stein in eine Pfütze werfen. Meine Generation ist schon der zweite oder sogar dritte Kreis, den der Stein/Krieg erzeugt. Er wird schwächer, je weiter er vom Zentrum entfernt ist, aber die Erschütterung ist immer noch spürbar.

Im ersten Moment fand ich das ziemlich erschreckend. Aber es wurde uns in dem Gespräch klar, das wir natürlich auch positive Wellen abbekommen haben. Kraft, Mut, Durchhaltevermögen, sich trotz widriger Umstände durchsetzen, und Hoffnung, dass es besser wird. Ich erinnere mich gut an Gespräche mit meinen Großeltern über die Kriegszeit. Sie sprachen über Manches nicht. Aber in einigen Erzählungen hörte ich gute  Erfahrungen heraus. Man half sich im Dorf, Lebensmittel wurden achtsam eingesetzt, Witwen und Waisen wurden von der Gemeinschaft unterstützt und Schutzsuchende versteckt. Und es gab kleine und große Heldentaten, die selbstverständlich waren. Trotz allen – eine Zeit in der es auch Hoffnung gab.

Ich hoffe sehr, das auch diese Wellen in meiner Generation angekommen sind und wir sie ebenso weitergeben können.